»Auch mit Gaddafi-Anhängern verhandeln«

Jan van Aken über die Debatten zu einem möglichen Einsatz der Bundeswehr in Nordafrika

  • Lesedauer: 3 Min.
Jan van Aken ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Mit ihm sprach Aert van Riel über Perspektiven für Libyen.
»Auch mit Gaddafi-Anhängern verhandeln«

ND: Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) denken derzeit über einen Bundeswehreinsatz in Libyen nach, wenn Gaddafi besiegt ist. Wäre dieser im Rahmen eines UN-Einsatzes sinnvoll?
van Aken: Das ist völliger Unsinn. Den Herren fällt nur die Bundeswehr ein, wenn sie ein außenpolitisches Problem haben. Entweder schweigen die Waffen wirklich, wenn Gaddafi endlich weg ist – dann kann auch Hilfe ohne die Bundeswehr geleistet werden. Oder es entwickelt sich ein Bürgerkrieg wie in Irak – dann hat die Bundeswehr da genauso wenig zu suchen wie in den letzten sechs Monaten.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass nach Gaddafis Sturz der Bürgerkrieg weitergeht?
Ich hoffe, dass das nicht passiert, dass wir hier kein zweites Irak erleben. Aber es gibt tatsächlich die Gefahr eines Bürgerkrieges. Erst hätschelt die NATO die Rebellen mit Waffen und bombt ihnen den Weg frei – jetzt wird selbst im NATO-Hauptquartier befürchtet, dass es Massaker an ehemaligen Gaddafi-Treuen geben könnte oder dass die Rebellen gar weiter gegeneinander Krieg führen. Es scheint, als habe die NATO die Rebellen nur als Fußtruppen für einen Regimewechsel in Libyen benutzt.

Was müsste getan werden, um eine friedliche Lösung voranzubringen?
Mein Vorschlag wäre, dass zunächst unter Vermittlung der Afrikanischen Union alle Parteien, also auch die Gaddafi-Anhänger und die Rebellen sowie die Stämme des Landes, an einen Tisch gebracht werden. Sie sollten dann miteinander verhandeln, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und den demokratischen Prozess einzuläuten.

Ihr Parteikollege Stefan Liebich hatte bezüglich einer eventuellen deutschen Beteiligung gesagt, er sei ein Freund von Einzelfallprüfungen. Wird in der LINKEN über die Zustimmung zu einem möglichen Bundeswehreinsatz debattiert?
Eine solche Debatte gibt es derzeit nicht. Auch als es im März im UN-Sicherheitsrat um das Mandat für die Luftangriffe auf Libyen ging, gab es eine einhellige Meinung in der LINKEN, dass wir den Militäreinsatz ablehnen. Und das sehe ich jetzt genau so. Wir kennen alle das Szenario in Irak oder in Afghanistan. Ich bin mir sicher, dass niemand in der LINKEN sagen würde, dass wir nach dem Ende der Herrschaft Gaddafis da mit der Bundeswehr rein müssen.

Die Bundesregierung hat einen Sofortkredit von 100 Millionen Euro zugesagt, den der libysche Übergangsrat erhalten soll. Versucht Deutschland nun, über Finanzhilfen Einfluss auf die neue libysche Führung zu gewinnen? Das Land spielt ja strategisch und als Öllieferant eine wichtige Rolle.
Das ist erst einmal nicht falsch. Wenn der demokratische Prozess losgeht, also wenn alle an einen Tisch kommen und das Schießen endlich eingestellt wird, dann ist es auch richtig, dies massiv finanziell zu unterstützen. Falsch ist es aber, jetzt einen Blankoscheck auszustellen, und hinterher finden dann Massaker an ehemaligen Gaddafi-Getreuen statt. Dort auch noch viel Geld zu geben, das geht nicht. Natürlich gibt es wirtschaftliche Interessen in Libyen. Das ändert aber nichts daran, dass man den Friedensprozess unterstützen muss.

Das Ende der Gaddafi-Regierung steht wohl kurz bevor. Wie schätzen Sie die Chancen für eine Demokratisierung des Landes ein, wenn man bedenkt, dass unter den führenden libyschen Rebellen auch ehemalige Politiker des alten Staatsapparates sind?
In Libyen ist ebenso wie in den nordafrikanischen Nachbarländern Tunesien und Ägypten noch nicht entschieden, ob sich in der Region die Demokratie durchsetzt. Libyen steht noch am Anfang. In Tunesien ist zurzeit aber ein lebendiger Prozess zu beobachten. Unterschiedliche politische Strömungen bringen sich für die Wahl im Oktober in Stellung. Was dann kommt, ist völlig offen. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass in vormals autoritär regierten Ländern erste Schritte gemacht wurden, um etwas zu verändern.

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