Moralprediger

Kommentar von Ingolf Bossenz

  • Lesedauer: 1 Min.

Der Dalai Lama, der derzeit Deutschland besucht, fordert eine universale Ethik. Selbige müsse säkular sein, also frei von religiösen Begründungen. Solche Gedanken hat der tibetische Religionsführer bereits des Öfteren geäußert. Sie sind gerade jetzt bemerkenswert, da in vier Wochen der Besuch eines Mannes ins Haus steht, der das ganz anders sieht: Papst Benedikt XVI. Für ihn wurzeln Moralwerte im christlichen Glauben, werden bewahrt in den Lehren seiner Kirche und bewacht durch deren Amtsträger. Anders der Dalai Lama, der zwar konzediert, dass Wissen und Praxis des Buddhismus hilfreich seien, aber für die Vermittlung grundlegender ethischer Werte durchaus nicht nötig.

Der Kampf um die Moral ist so alt wie die Menschheit. Viele Regeln entsprangen der Evolution, der Notwendigkeit biologisch angepassten Handelns. Kulturelle Entwicklung begründete und ergänzte diese Regeln, schuf Normenkataloge, die vor allem religiös bestimmt waren. Moralisches Sonderrecht entstand – mit all seinen tragischen Folgen. Heute wird in den Religionen das übergreifende Potenzial des Mitfühlens, des Mitleidens, des Mithelfens gesucht. Allerdings bedarf es dazu nicht unbedingt des Glaubens an Gott, sondern vor allem des Glaubens an den Menschen. Was offenbar nicht Sache jedes Religionsführers ist.

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