1000 brutto reichen doch
Niedriglohnparadies MV: Den »ersten Arbeitsmarkt« gibt's nur mit Stütze
Man stelle sich folgendes Angebot vor: Tägliche Arbeit von 10 bis 14 und abends von 18 bis 21 Uhr, befristet bis zum Ende der Saison – und bezahlt mit vier Euro die Stunde, natürlich brutto. Da bleibt immerhin Zeit, zwischdurch die zum »Aufstocken« nötigen Behördengänge zu erledigen – und wer sich dieser Ausbeutung nicht beugt, dem wird das Geld gestrichen.
Solche Zwangsarbeit auf Kosten der Gemeinschaft, gegen die die Nordost-LINKE im Juni demonstrierte, ist leider Alltag im »schönsten Bundesland der Welt«. Das Angebot ist, wie auch der NDR kürzlich berichtete, noch nicht einmal ein krasser Ausreißer. Die Zahlen sind bekannt: Gerade für Leute unter 25 sind Niedigstlöhne von um die 1000 Euro brutto der Normalfall. Drei von vier jungen Beschäftigten sind dazu verurteilt, solche Stellen anzunehmen, von denen man kaum leben kann, da schützt auch keine Ausbildung. »MV tut gut« steht auf den Schildern an der Autobahn. »1000 brutto reichen doch« wäre treffender. Auch bei den »Erwachsenen« ist fast jeder zweite von Ähnlichem betroffen.
Lange Zeit hat Rot-Schwarz in Schwerin das Sinken der offiziell registierten Arbeitslosigkeit als großen Erfolg verkauft, obwohl doch jeder wusste, dass auch Abwanderung und Verrentung dafür sorgten – und viele neue Arbeitsplätze auf Lohnsubvention durch die Arbeitsagenturen beruhen. Das hat sich geändert: Außer der FDP verteidigt in Mecklenburg-Vorpommern niemand mehr die krassen Niedriglöhne.
Nun ist die Lohnfindung insgesamt kaum Sache der Landespolitik – doch beklagt LINKE-Spitzenkandidat Helmut Holter nicht zu Unrecht, dass sich an den verfügbaren Stellschrauben auch niemand versucht hat im vergangenen Jahrfünft. Nach ewigem Gezerre endete etwa der Versuch, per Vergabegesetz gegen Lohndumping bei öffentlichen Aufträgen vorzugehen, als Nullnummer: Die CDU blockierte das Kernstück, einen vergabespezifischen Mindestlohn, wie ihn Berlin und Bremen kennen. Gescheitert kann man auch die Strategie des Wirtschaftsministers Jürgen Seidel (CDU) nennen, der die aktive Arbeitsmarktpolitik einstellte, um sich auf den »ersten Arbeitsmarkt« zu konzentrieren. Nun stellt man fest, dass ein »erster«, auskömmlicher Arbeitsmarkt, der vom Gang zur Agentur befreite, für viele Normalbeschäftigte im Land ohnehin eine Illusion ist. Und dass sich, entgegen Seidels Prognose, die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt hat.
Insofern wäre ein Öffentlicher Beschäftigungssektor für gesellschaftlich notwendige, aber schlecht zum Geschäft zu machende Arbeit ein Zurück in die Zukunft. Holter will ihn wieder aufrichten und 1500 versicherte Stellen mit auskömmlichem Lohn schaffen. Finanziert werden soll das durch die Zusammenfassung von Sozialleistungen, durch Landes- und übergeordnete Mittel. Und wer dagegenrechnet, was das »Aufstocken« zum Beispiel die Kommunen kostet, könnte feststellen, dass es sich insgesamt sogar um die kostengünstigere Variante handeln könnte.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.