Mahnendes Wort der Besinnung
Ein deutscher Papst kommt zu einem Staatsbesuch in sein Heimatland. Dabei wird er mit allen protokollarischen Ehren empfangen, die die Diplomatie kennt. Sollte es uns nicht stolz machen, wenn der »Chef« der einflussreichsten moralischen Instanz der Welt sein Heimatland aufsucht?
Kritikerinnen und Kritiker argumentieren auf zweierlei Weise: Die einen sagen, der Papstbesuch selbst sei ja in Ordnung, nur seine Rede vor den Abgeordneten des Bundestages dürfe nicht sein, denn sie verstoße gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche. Diese Stimmen erreichen mich auch aus meiner eigenen Partei. Hier wird auch gesagt, ein exklusives Rederecht sei nicht mit der Gleichbehandlung aller Religionen vereinbar. So müssten auch die Repräsentanten anderer Religionen vor dem Parlament sprechen dürfen.
Dies stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Historisch gesehen ist der Vatikanstaat zwar unter unseligen Bedingungen zustande gekommen, kann aber doch heute als Glücksfall gelten. So wie die christlichen Kirchen als zivilgesellschaftliche Akteure auch, ist der Vatikanstaat auf internationaler Ebene so etwas wie ein Korrektiv: Es gemahnt die Weltgemeinschaft daran, Solidarität mit den Armen und Schwachen zu üben und die eigenen Interessen nicht absolut zu setzen. Mangels eigener außenpolitischer und geostrategischer Interessen ist der Papst als Oberhaupt dieses Staates geradezu prädestiniert dafür, eine moderierende Rolle im Dickicht außenpolitischer Zwistigkeiten einzunehmen. Dass es keine vergleichbare Institution in anderen christlichen Konfessionen und Religionen gibt – vielleicht mit Ausnahme des Dalai Lama –, ist aber dem Papst nicht vorzuwerfen.
Andere Kritiker und Kritikerinnen verwerfen den Staatsbesuch völlig und sprechen von der Verschwendung von Steuergeldern. Ja, der Besuch eines Staatsoberhauptes kostet Geld. Doch wonach beim Besuch des amerikanischen oder französischen Präsidenten kein Hahn kräht, da ist die Aufregung beim Papst plötzlich groß, weil er ein Religionsführer ist. Allerdings geht es den Kritikern nicht um die reine Staatslehre, dass Staat und Religion zu beiderlei Schutz und Nutzen getrennt sein müssten. Sondern es geht um die Existenz und den Geltungsanspruch von Religion überhaupt und um die ethischen Positionen des Papstes im Speziellen.
Im Angesicht einer sich immer mehr ausdifferenzierenden religiösen Landschaft, in der die Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession (oder zu einer anderen Religion) von der Regel zu einer Ausnahme zu werden droht, ist es offensichtlich nicht mehr trivial, darauf hinzuweisen, dass Deutschland keine laizistische Staatsverfassung hat, wie sie zum Beispiel Frankreich und unter anderen Vorzeichen auch die Türkei besitzen.
Das deutsche System der positiven Bezugnahme von Staat und Kirche ist weltweit einmalig, zustande gekommen unter den Bedingungen des konfessionellen Pluralismus im Gefolge der reformatorischen Religionskriege. Unter diesem Aspekt ist es vielleicht nicht selbstverständlich, dass ein religiöses Oberhaupt im Parlament Rederecht erhält, aber auch nicht gänzlich abwegig.
Doch worüber wird er sprechen? Das Moratorium von katholischen Theologinnen und Theologen vom Februar dieses Jahres, das tiefgreifende Kirchenreformen einfordert, zeigt, dass innerhalb der katholischen Kirche keine blinde Dogmengläubigkeit herrscht, sondern eine durchaus kritische und konstruktive Debatte stattfindet. Bei ethisch-gesellschaftlichen Themen ist dies nicht anders. Denn das Spektrum der Meinungen innerhalb des Katholizismus ist so breit wie in der Gesellschaft insgesamt.
Der Papst ist nicht der religiöse Eiferer, als der er gerne dargestellt wird. Selbstverständlich weiß er, dass er im Parlament zum ganzen Volk spricht und nicht nur zu den Katholiken. Deshalb haben wir keine religiöse Kampfrede zu erwarten. Er ist sich der Bedeutung dieses Besuchs bewusst und wird die Themen klug wählen. Dabei wird er – das ist meine Hoffnung – Stellung nehmen zu den großen, auch ethischen Herausforderungen, die vor uns liegen.
Angesichts der aktuellen Verfassung der Finanzwelt und der Gesellschaft ist ein mahnendes Wort der Besinnung nötig. Genau deshalb finde ich seine Rede vor dem Bundestag so wichtig: Weil die sogenannte Realpolitik üblicherweise in einem solchen Maße dominiert, dass ethische Fragen fast nie zur Sprache kommen.
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