Propaganda in Perfektion
Das Zeughauskino zeigt nationalsozialistische »Vorbehaltsfilme«
So genannte »Vorbehaltsfilme« sind die 46, meist nationalsozialistischen, Propagandafilme (darunter Werke wie »Jud Süß« oder »Kolberg«), die man hier zu Lande nur unter strengen Auflagen vorführen darf. Sie müssen nach einem Beschluss der Wiesbadener Friedrich-Murnau-Stiftung, die alle deutschen Filme bis 1945 verwaltet, mit einer sachkundigen Einführung gezeigt und anschließend mit dem Publikum diskutiert werden.
Um den Meinungsaustausch über diese Filme anzukurbeln, hat das Zeughauskino für den Monat September vier Vorbehaltsfilme programmiert. Sie beschäftigen sich vorwiegend mit Jugendlichen in Nazi-Organisationen.
Heute beginnt die Reihe mit Robert A. Stemmles Film »Jungens«. Dort beutet in einem norddeutschen Küstendorf der ortsansässige Wirt die Fischer aus und erpresst den jugendlichen Sohn des Küstenwächters, der für ihn arbeitet. Doch Rettung naht in der Gestalt des engagierten NS-Lehrers Gründel. Der charismatische Mann organisiert die ungestümen Dorfjungen in der Hitler-Jugend, so dass sie mit verinnerlichter Nazi-Gesinnung zum Sturz des Dorftyrannen und »Volksschädlings« beitragen.
Ideologie und Dramatik triumphieren in »Jungens« über Wahrscheinlichkeit: So begeistert sich die bis dahin apolitische Jugend erstaunlich schnell für zackige Paraden oder halten Dünen sehr willkürlich für Unfälle her. Das 1941 gedrehte Werk, das offensichtlich auch als Rekrutierungsfilm für den Kriegsdienst diente, blendet den Zwangscharakter der Hitler-Jugend geschickt aus und präsentiert stattdessen viele kulante Nazis in Uniform. Ästhetisch auffällig ist die Stilisierung von »arischen« Jungen im Gegenlicht, sowie die Fetischisierung von NS-Requisiten und -Aufmärschen.
Der Lehrer Gründel wurde übrigens von Albert Hehn (dem Vater von »Schwarzwaldklinik«-Beau Sascha Hehn) gespielt, der von 1933 bis 1945 viele NS-Helden verkörpert hatte und nach dem Krieg in der Bundesrepublik problemlos weiterarbeiten konnte.
Seinem perfiden Ruf wird wiederum ein früher NS-Propagandafilm gerecht: Hans Steinhoffs »Hitlerjunge Quex« von 1933 (am 13.9.). Er erzählt die Geschichte des aus kommunistischem Elternhaus stammenden Jungen Heini, der sich für die Hitler-Jugend entscheidet und dabei als Märtyrer stirbt. Die zynische Propaganda des Films gedeiht vor dem Hintergrund einer als korrupt und bankrott gezeichneten Weimarer Republik.
Werden Kommunisten dort konsequent als amoralische und chaotische Kriminelle dargestellt, herrscht bei den Nazis Zucht, Ordnung und Pflichtgefühl. Der hübsche blonde Heini ist hin und her gerissen zwischen der Liebe zu seinen Eltern (den Vater spielt Heinrich George als gewalttätigen Arbeitslosen mit Anflügen von Güte), dem Druck vonseiten des kommunistischen Agitators und seiner Sehnsucht, Mitglied der Hitlerjugend zu sein.
Als Leitmotiv des Films fungiert das Lied »Unsere Fahne flattert uns voran«, das unter anderem im Vorspann und am Ende, nach dem Tod des Jungen, als Hintergrundmusik zu einer eingeblendeten Hakenkreuzfahne ertönt. Es ist Sinnbild für den im Film beschworenen nationalsozialistischen Kampfgeist und den Willen, Chaos und »unvölkisches« Tun durch perfekte Organisation zu bekämpfen.
Das martialische Auftreten der Nazis und ihr vorgelebter Gemeinschaftsgeist ziehen Heini ebenso an wie die schnittige HJ-Uniform, die er trägt, als die Kommunisten ihn aus Rache ermorden, weil er ihr Attentat auf seine »Kameraden« vereitelt hat. Die Propagandamaschinerie funktioniert hier perfekt: dank einem sympathischen Helden und einer spannenden Handlung. Zweifelhaftes Lob für den Film gab es auch vom mitunter durchaus kritischen NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
Das half dem Regisseur Steinhoff kurz vor Kriegsende nicht mehr: Das Flugzeug, in dem er im April 1945 nach Spanien flüchten wollte, wurde abgeschossen.
»Unter Vorbehalt«, vier Filme, darunter auch »Jakko« (20.9.) und »Der Stammbaum des Dr. Pistorius« (27.9.); im Zeughauskino, Unter den Linden 2, Tel.: (030) 203 04-444; www.dhm.de/kino
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