Pilotverfahren für Euro-Rettung
Die Karlsruher Richter werden wohl weitere Vorgaben zur Parlamentsbeteiligung machen
Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute sein Urteil zu zwei Verfassungsbeschwerden: Es geht um zwei Gesetze vom Mai 2010, die das Bundesfinanzministerium zu Bürgschaften von bis zu 170 Milliarden Euro für Kredite an Griechenland und im Rahmen des »Euro-Rettungsschirms« (EFSF) ermächtigte. Nun soll der Bundestag dafür weitere 63 Milliarden Euro bewilligen. Zusammen entspräche das fast Zweidrittel des Gesamthaushalts. In Berlin blickt man gebannt nach Karlsruhe, ob die Richter dafür neue Vorgaben machen. Der Bundestag hat extra die Generaldebatte über den Etat der Kanzlerin und des Bundeskanzleramtes nach hinten geschoben, damit sich Kanzlerin Angela Merkel aktuell zum Urteil äußern kann. Schon am Donnerstagvormittag wird das neue Gesetz über die Vergrößerung des EFSF-Rettungsschirms im Bundestag debattiert.
Dass das Gericht Kreditbürgschaften für angeschlagene Euro-Staaten generell für unzulässig erklärt, wird nicht erwartet. Denn die Richter hatten schon einstweilige Anordnungen abgelehnt, mit denen die Kläger – fünf konservative Professoren sowie der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler – deutsche Garantien für Schulden anderer Euro-Staaten stoppen wollten. Der Zweite Senat akzeptierte das Argument der Bundesregierung, dass sonst »die Stabilität der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet« sei und gab ihr de facto eine Blankovollmacht: Unter den Verfassungsorganen sei vor allem sie dazu berufen, währungs- und finanzpolitische Einschätzungen vorzunehmen, die das Gericht nur eingeschränkt kontrollieren könne. Dieser »Einschätzungsvorrang« der Regierung sei »vorbehaltlich eindeutiger Widerlegung zu respektieren«. Ergo nahm der Senat auch die Versicherung hin, die Wahrscheinlichkeit sei gering, dass Deutschland bei Notlage eines Euro-Staates für dessen Schulden in Anspruch genommen wird.
Über diese Risiken und mögliche Konsequenzen wird derzeit heftig gestritten. Karlsruhe will sich aus den ökonomischen Debatten jedoch heraushalten. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt, die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone würden nicht verhandelt. Das sei »Aufgabe der Politik und nicht der Rechtsprechung«. Das Gericht habe aber »die Grenzen auszuloten, die das Grundgesetz der Politik setzt«.
Die Grenzen sind aus Sicht der Kläger durch die Finanzhilfen für überschuldete Euro-Staaten längst durchbrochen. Sie verweisen auf die steigende Inflationsgefahr, die die Kaufkraft der Deutschen mindere. Der Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel, der mit geklagt hat, befürwortet den Ausschluss der armen Euro-Länder aus der gemeinsamen Währung. Darüber hinaus monieren die Kläger die zunehmende Entmachtung des Bundestags. Als »Bürger« seien sie durch den Druck auf die Abgeordneten betroffen, die angeblich »alternativlosen« Kreditgarantien abzusegnen. Dies verstoße gegen das Gebot, dass Abgeordnete »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind«.
Ob das Gericht dies anerkennt oder »normalen Bürgern« in diesen Fragen eine Klagebefugnis abspricht, ist offen. Ebenso, wie es auf Gauweilers Klage reagiert, der Rettungsschirm verstoße gegen das in Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verankerte Haftungsverbot (Bail out) für Schulden anderer Staaten und ersetze die vertraglich vorgesehene Stabilitätsunion durch eine Haftungs- und Transferunion.
Die Beschwerdeführer argumentieren, der Gesetzgeber enthebe sich seiner Verantwortung für den Haushalt und das Gemeinwohl, wenn er sich mit mehrstelligen Milliardenbeträgen für künftige Haushaltsjahre festlege. Die gewählten Volksvertreter im Parlament wären ihres Königsrechts beraubt, über jährliche Haushaltsdebatten und Mittelbewilligungen Politik mitzugestalten, wenn kaum noch Gelder zum Verteilen vorhanden seien. Quantitative Grenzen von Kreditgarantien waren auch Thema der mündlichen Verhandlung. Allgemein erwartet wird, dass das Gericht Vorgaben dafür macht, wann das Parlament der Vergabe neuer Tranchen von Krediten zustimmen muss, für die es zuvor Garantien gebilligt hatte.
An der Ungewissheit, wie dann »die Märkte« darauf reagieren, ändert das freilich nichts. Die Wirtschaftsexpertin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, forderte daher, die öffentlichen Haushalte sofort aus ihrer Abhängigkeit von den Kapitalmärkten zu befreien. Dazu müssten die Staaten die Möglichkeit bekommen, über eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen zinsgünstige Kredite aufzunehmen. Gleichzeitig sei der Schuldenstand durch Beteiligung der Banken und anderer privater Gläubiger sowie eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre zu senken. »Nur so können die Profiteure zur Kasse gebeten und Risiko und Haftung wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden.« Aber das ist die politische Debatte, in die Karlsruhe ja nicht eingreifen will.
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