Spanien wehrt sich gegen die drohende Schuldenbremse
Demonstranten verlangen Referendum über Verfassungsänderung / Anhaltendes Misstrauen in große Parteien und Gewerkschaften
Tausende Menschen haben am Dienstagabend in Spanien gegen den Sparkurs der Regierung und die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung demonstriert. Nach Gewerkschaftsangaben beteiligten sich in Madrid 25 000 Demonstranten an den Protesten, bei denen eine Volksabstimmung über die Schuldenbremse gefordert wurde.
Immer mehr Menschen in Spanien empören sich über die beiden großen Parteien. Dies zeigt sich auch in den großen Gewerkschaften. Deshalb hatten die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) am Dienstag zu Protesten dagegen aufgerufen, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Das hatten die regierenden Sozialisten (PSOE) überraschend im August mit der konservativen Volkspartei (PP) vereinbart, nachdem dies die deutsche Bundeskanzlerin gefordert hatte.
Zehntausende gingen am Dienstagabend in diversen Städten auf die Straße. Nach Angaben der Gewerkschaften fand der Protest in der Hauptstadt Madrid den größten Widerhall, wo sich 25 000 Menschen beteiligt haben sollen. Zentral wird gefordert, die Reform einer Volksabstimmung zu unterwerfen, wie es auch die Bewegung der »Indignados« (Empörten) fordert. »Was würde es kosten, Urnen aufzustellen und zu erlauben, dass die Bevölkerung abstimmt?«, fragte CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo. Sein UGT-Kollege Cándido Méndez wies mit Blick auf den Börsencrash am Montag darauf hin, dass sich statt der »Beruhigung der Finanzmärkte« in der »Realität ein genau gegenteiliger Effekt zeigt«.
Die Proteste fanden vor der Abstimmung am gestrigen Mittwochabend im Senat statt, nachdem der Kongress schon letzte Woche zugestimmt hatte. Damit sollte Druck auf PSOE-Abgeordnete gemacht werden, sich dem Antrag der Vereinten Linken (IU) anzuschließen, ein Referendum einzuleiten, wofür sich zehn Prozent der Senatoren aussprechen müssten. Die linken und nationalistischen Fraktionen sind allein zu schwach, um dies durchzusetzen.
Die Gewerkschaften kritisieren das »antidemokratische Vorgehen«, mit Hilfe dessen Sozialisten und Volkspartei die Reform ohne Volksabstimmung »in 15 Tagen« durchpeitschen wollen. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero werfen sie Verrat vor, denn es ist in Spanien üblich, Fragen dieser Art dem Volk vorzulegen. So wurde 1977 über die Verfassung, später über die Autonomiestatute der Regionen, den Beitritt Spaniens zur NATO und zuletzt 2005 über den EU-Staatsvertrag abgestimmt.
Über eine Entscheidung von solcher Tragweite, mit der nach Einschätzungen der Linken noch tiefere Einschnitte ins Sozialsystem quasi verfassungsmäßig abgesichert werden können, sollen die Bürger aber nicht entscheiden dürfen. Gewerkschaften, IU und andere linke Fraktionen halten es für völlig inakzeptabel, dass ein Parlament, das kurz vor der Auflösung steht, um den Weg für vorgezogene Wahlen am 20. November freizumachen, noch die »Amputation des Wohlfahrtsstaates« beschließt.
Die Proteste fielen aber deutlich schwächer als die aus, welche die Empörten seit Mai gegen die Sparpolitik der Regierung organisieren. Zwar haben sich auch »Indignados« an den Aktionen beteiligt, doch misstrauen sie den Großgewerkschaften, nachdem diese Zapateros Rentenreform im Frühjahr abgenickt hatten.
Deutlich zeigte sich die Spaltung in Barcelona. Dort stellten sich Empörte mit einem Transparent an die Spitze des Marsches und riefen dazu auf, die »Gewerkschaften zu verlassen und sich dem Kampf anzuschließen«. CCOO und UGT seien »Werkzeuge der Macht«, die mit der Regierung Einschnitte ins Sozialsystem aushandelten. Ähnlich sehen das kleinere und nationalistische Gewerkschaften. Die schlossen sich, wie im kämpferischen Baskenland, nicht den Aufrufen an, weshalb zum Beispiel im großen Bilbao nur etwa 200 Menschen demonstrierten.
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