Klug, kritisch, warmherzig

Jan Peters – ein Historikerleben in der DDR

  • Kurt Pätzold
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie weiter und wie lange noch?« Mit der vor allem an ihn selbst gestellten Frage entlässt der Autor, der den größten Teil seines achten Lebensjahrzehnts schon hinter sich hat, seine Leser. Jan Peters hat sie nicht mehr beantworten müssen. Wenige Tage, nachdem er sein Buch druckfrisch in den Händen hielt, ist er – am 30. Juni dieses Jahres – verstorben.

Um es vorweg zu sagen: Sein Erinnerungsband steht in einer Reihe mit den Memoiren aus den Federn der Kollegen Joachim Petzold und Fritz Klein. Und wer sich mit den Geschichtsinstituten an der Akademie der Wissenschaften der DDR – jeder der drei gehörte einem anderen an – je befassen will, wird an diesen nicht vorbeikommen. Peters gehörte zwei volle Jahrzehnte zum Forscherstab des international hoch renommierten Kuczynski-Instituts für Wirtschaftsgeschichte und in ihm zum Kreis profilierter Fachleute, bis es 1991 der »Abwicklung« verfiel.

In Berlin geboren reiste Jan Peters, dreijährig, mit seinen Eltern nach Charkow, wo sein Vater an einem Physikalischen Institut arbeiten kann. Dorthin ist die Familie den Nachstellungen der Faschisten entkommen, den politischen ebenso wie denen unter rassischen Vorwänden. Drei Jahre später, 1938, wird sie jedoch ohne Begründung aus dem »Vaterland der Werktätigen« ausgewiesen. Sie kann sich zu Bekannten und Verwandten nach Schweden wenden. Stockholm wird zweiter Zufluchtsort. Dort beginnt Jans Schulzeit.

Der Vater ist der erste, den es nach der Zerschlagung der Nazimacht nach Deutschland zurückzieht. Die Familieangehörigen folgen 1947. Während die Eltern in der Volksbildung an verantwortlichen Plätzen zu arbeiten beginnen, besucht der Sohn in Blankenfelde eine Oberschule im Aufbau. Er studiert in Greifswald und beginnt dort als Assistent am Historischen Institut seine wissenschaftliche Karriere. Die wird nach politischen Querelen zunächst unterbrochen. Peters arbeitet nun als Journalist am Radiosender Berlin International für dessen nach Schweden gerichtetes Programm. Dann wechselt er in die Akademie der Wissenschaften, in die Forschungsorganisation und -bürokratie. Später nimmt er den Auftrag an, das DDR-Kulturzentrum in Stockholm zu leiten. 1970 schließlich tritt er in das Kuczynski-Institut ein, zunächst mit der Hauptaufgabe, die angesehenen Jahrbücher für Wirtschaftsgeschichte herauszugeben, dann aber doch an einem Platz, an dem er sich seinem Forschungsinteresse widmen kann.

Diese Aufzählung allein mag ein Bild davon geben, dass der Mann, der die Geschichte der DDR aus so verschiedenen Blickwinkeln erlebte und mitgestaltete, »etwas zu erzählen« hat. Dabei ist er seit Beginn der 80er Jahre mehr und mehr in inneren Konflikt geraten, hat sein politisches Engagement reduziert, wollte aus der SED austreten, hat es dann doch noch nicht getan, sondern erst, als er 1990 meinte, sie hätte sich bußfertig selbst zu liquidieren – eine Meinung, von der er rückblickend sagt, sie sei doch fragwürdig gewesen.

Peters entwickelte sich zu einem Experten auf dem Felde der frühneuzeitlichen Agrargeschichte und hat sich zudem einen Namen auf dem Gebiet der Exilforschung gemacht. Was lag für ihn näher, als sich der Geschichte des Exillandes Schweden zuzuwenden. Das hieß – wie die Dinge im Kalten ideologischen Krieg lagen, denkt man an die Emigranten Karl Mewis, Herbert Warnke, Paul Verner, Richard Stahlmann und Herbert Wehner – ein heißes Eisen anfassen. Es dauerte, bis die Resultate dieser Forschungen einem größeren Leserkreis zugänglich wurden. Das geschah, als Olof Palmes zu einem Staatsbesuch kam, dem das druckfrische Werk geschenkt wurde.

Der Teil des Buches, der dem Autor mit den Ehemaligen seiner Akademie-Kollegen wohl die stärksten Diskussionen beschert haben würde, betrifft seine Sicht auf den Untergang der DDR und vor allem, das verwundert, die Vernachlässigung der Wirtschaftsgeschichte des ostdeutschen Staates zugunsten der Konzentration auf die politische und geistige Geschichte. Stoff zum Streit der Meinungen gäbe auch das Bild von den Antrieben, die zur Politik der »Abwicklung« führten.

Jan Peters sagt von sich, er habe Glück gehabt, denn sein Weg führte ihn nach 1990 nicht auf Arbeitsämter oder zu seiner Qualifikation fernen Tätigkeiten. Seine wissenschaftliche Karriere setzte sich als Leiter einer gut dotierten Arbeitsstelle des Göttinger Max-Plank-Instituts fort und führte zu einer Berufung auf eine C4-Professur an der zur Universität erhobenen Potsdamer Hochschule. Hier hat er bis 1999 eine produktive Arbeitsgruppe junger Wissenschaftler formiert, die sich mit der »Erforschung der ostelbischen Gutsherrengesellschaft« befasste. Schade, dass hier die Neugier des Lesers bezüglich Ergebnisse und Fortschritte unbefriedigt bleibt.

Viel lässt sich hingegen anderweitig aus dieser letzten Hinterlassenschaft des Forschers gewinnen. Dazu zählt die Bekanntschaft mit dessen Vorfahren, bildungsbürgerlichen Familien, deren »Vorstände« Professoren an deutschen und ausländischen Universitäten waren, Astronomen und Mathematiker, ein Rechtsanwalt und ein Justizrat, Inhaber von staatlichen und anderen Ehrungen. Sie besaßen einen weiten, teils namhaften Freundes- und Bekanntenkreis, aus dem viele, sei es nach Aktenbefunden, sei es aus Jan Peters persönlicher Kenntnis, warmherzig geschildert werden. So gehört das Werk in weiten Passagen auch in das im Aufwind befindliche Genre der Familiengeschichten.

Jan Peters: Menschen und Möglichkeiten. Ein Historikerleben in der DDR und anderen Traumländern. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011. 559 S., geb., 78 €.

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