»Was zählte war, dass wir es ernst meinten«
Greenpeace: Aus einer 20-köpfigen Gruppe wurde in 40 Jahren eine weltweit agierende Umweltorganisation
Rex Weyler ist lässig gekleidet. Die weißen Haare trägt er etwas länger. Der 56-Jährige ist ein wenig zu spät gekommen zu unserer Verabredung in einem Café im Westteil der Stadt. Doch dann geht alles schnell: Ein kräftiger Händedruck zur Begrüßung, und Weyler beginnt zu erzählen. Davon, wie er 1972 als anfang 20-Jähriger aus seiner Heimat, dem US-Bundesstaat Colorado, nach Kanada abgehauen ist. »Ich hab mich geweigert, im Vietnam-Krieg zu kämpfen. Das machten damals viele junge Amerikaner«, sagt Weyler.
In Vancouver, der Hippie-Metropole am Pazifik, traf der junge Rebell bald die Aktivisten des Don't make a wave Committee (deutsch: Komitee verursacht keine Welle). Das Komitee war 1971 von kanadischen und US-amerikanischen Atomkraftgegnern und Pazifisten gegründet worden. Die weniger als 20 Mitglieder planten eine Kampagne gegen eine Reihe von Atombombentests, die die USA auf der zu Alaska gehörenden Insel Amchitka durchführen wollten. Ein Boot sollte gechartert und aus Protest gegen den bevorstehenden zweiten Test in die Sperrzone um Amchitka gesandt werden.
Ein Schiff als Namenspatron
Nach einigem Suchen hatte man den Fischer John Cormack gefunden, der sich bereit erklärte und zudem die nötige Erfahrung hatte, die schwierige Strecke nach Alaska mit zwölf Aktivisten des Komitees an Bord zu fahren. Sein Boot, die »Phillis Cormack«, war für die Aktion in Greenpeace umbenannt worden – ein Name, der sowohl den friedenspolitischen als auch ökologischen Anliegen der Gruppe gerecht werden sollte. »Heute kann man sich das schwer vorstellen«, erläutert Weyler, der kurz nach dieser ersten Aktion zu der Gruppe kam. »Aber damals gab es kaum Diskussionen um Umweltschutz. Wir begannen gerade erst, darüber zu reden.«
Dass das Thema gerade in Vancouver stärkeren Anklang fand, überrascht indes kaum. Vom Café aus blicken wir auf schneebekuppte Berge, die die Stadt von Norden her begrenzen. Im Westen ziehen sich entlang des Pazifiks dreizehn Strände. Drumherum endlose Wälder, uralter Regenwald, eine beeindruckende Artenvielfalt. Wer von solch uriger, schöner Natur umgeben ist, möchte wahrscheinlich, dass sie erhalten bleibt.
Die »Greenpeace« sei am Ende nicht bis Amchitka gefahren, fährt Weyler mit seiner Erzählung fort. Zwischendurch nippt er an seinem großen Kaffeeglas. Das Boot sei vor Alaska von der US-Küstenwache abgefangen und zur Umkehr zum Hafen gezwungen worden.
Sympathie für Risikobereitschaft
Die Aktion sorgte jedoch in allen größeren kanadischen Städten für Proteste. Die USA verschoben zunächst ihre Tests, später wurden sie ganz abgesagt. Der Aufwand hatte sich gelohnt. »Der Erfolg der Kampagne zeigte uns, dass es nicht unbedingt darauf ankam, ob wir wirklich bis in die Testzone vordringen können«, sagt Weyler. »Was zählte, war, dass wir es ernst meinten.« Während er spricht, schlägt er mit der flachen rechten Hand regelmäßig, fast rhythmisch auf den Tisch. Man merkt ihm an, dass er ein Mensch mit festen Überzeugungen ist. »Wir waren bereit, ein Risiko auf uns zu nehmen. Das brachte uns die Sympathie der Bevölkerung ein.« Aus dieser wichtigen Erfahrung wurde schließlich eine Strategie, die von der Organisation bis heute verwendet wird. Auch der Name Greenpeace sei nach der Aktion beibehalten worden, sagt Weyler: »Die meisten Sympathisanten hatten ohnehin angefangen, die Gruppe so zu nennen.«
Beflügelt von dem Erfolg begann die Gruppe, eine weitere Kampagne gegen französische Atomtests im Südpazifik-Atoll Mururoa durchzuführen. Der kanadische Kapitän David McTaggart der zu jener Zeit in Neuseeland lebte, wurde für die Aktion gewonnen. Zwei Jahre in Folge, 1972 und 1973, fuhr McTaggart, der die politischen Ideen der Aktivisten teilte und später selbst einer der wichtigsten Greenpeace-Strategen werden sollte, mit seinem Boot, der »Vega«, in die Speerzone um das Atoll. »Im ersten Jahr wurde sein Boot gerammt, im Jahr darauf kamen französische Kommandeure an Bord und schlugen ihn zusammen«, erinnert sich Rex Weyler an die turbulenten Ereignisse. »Natürlich verleugneten die Franzosen dies im Nachhinein, aber einem Crewmitglied war es gelungen, Fotos von den Geschehnissen zu machen und später von Bord zu schmuggeln. Frankreich verwickelte sich in eine Lüge.« Im Grunde habe Greenpeace davon profitiert, ist das Fazit des Ökoaktivisten. »Gerade weil die Franzosen mit solcher Gewalt reagierten, bekamen wir eine Menge Medienaufmerksamkeit«, begründet er.
Der große Durchbruch sei schließlich aber drei Jahre später, 1975, mit der ersten Kampagne zur Rettung der Wale gekommen. »Wir wollten damals eine größere Kampagne zum Thema Ökologie machen«, sagt Weyler. Den Wal habe man gewählt, weil man in ihm ein Sinnbild für die gesamte Natur gesehen habe, erklärt er. Auch dies überrascht kaum. Vor der Küste British Columbias, der Provinz, in der Vancouver liegt, haben viele Orcas (Killerwale) ihren Lebensraum, zahlreiche weitere Walarten ziehen in den wärmeren Monaten des Jahres hier vorbei. Doch der Fischfang, insbesondere der Walfang, und die zunehmende industrielle Verschmutzung der Ozeane ließen die Bestände deutlich zurückgehen.
Die Walkampagne war die erste, bei der Weyler selbst als Fotograf mitfuhr. Wieder sei die »Phillis Cormack« dafür genutzt worden, erzählt das Greenpeace-Urgestein. Er selbst und einige seiner Genossen hätten bereits zuvor als professionelle Journalisten gearbeitet, räumt Weyler ein: »Wir wussten, wie man eine Geschichte erzählt.« Und so entstanden bei der Aktion eindrucksvolle und unglaublich berührende Bilder, die zeigten, wie sich die Crewmitglieder vor der Küste Vancouvers den russischen Walfängern in den Weg stellten. Renommierte Publikationen wie der National Geographic, Smithsonian und das New York Times Magazine druckten Weylers Fotoreportagen und machten sie auf diese Weise einer Millionenleserschaft zugänglich. Über Nacht war der Name Greenpeace der Weltöffentlichkeit ein Begriff.
Greenpeace International entsteht
Dies habe die Gruppe vor neue Probleme gestellt, fährt Weyler fort. Er nimmt einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. »Plötzlich begannen überall Gruppen eigene Büros unter dem Namen Greenpeace zu eröffnen. Wir hatten jedoch weder die Ressourcen noch die Strukturen, um diesen Prozess zu lenken. Die Organisation wuchs schneller als wir es kontrollieren konnten.« Ein neues Büro in Amsterdam habe auf eigene Faust mehr als eine Million US-Dollar für die Rettung der Wale gesammelt, erzählt er. »Aber davon wollten sie uns nichts abgeben.« Weyler lacht. »Sie warfen uns vor, wir könnten nicht mit Geld umgehen. Wir hier in Vancouver hatten Schulden, weil wir unser ganzes Geld in Kampagnen gesteckt hatten. Die Niederländer hatten dagegen noch keine einzige durchgeführt.« Halb belustigt schüttelt der Öko-Rebell den Kopf. Er seufzt. »Eine Lösung musste her. Wir dachten daher, es wäre das Beste, wenn wir alle Gruppen an einen Tisch brächten.«
Die Lösung bestand schließlich in der Gründung eines internationalen Rates, aus dem später Greenpeace International hervorging. Als Hauptsitz für das 1979 einberufene Gremium wurde Amsterdam gewählt, nicht, weil die Niederländer sich so erfolgreich im Geldsammeln erwiesen hatten, sondern, so Weyler, »weil die meisten neuen Greenpeace-Büros ohnehin in Europa entstanden waren.« Der inzwischen verstorbene David McTaggart, der Kapitän, der in das Mururoa-Atoll gefahren war, blieb für viele Jahre der erste Vorsitzende der Organisation.
»Der Rest ist Geschichte«, sagt Weyler. Seinen Kaffee hat er in der Zwischenzeit ausgetrunken. Fast zwei Stunden sind vergangen. »Ich muss los«, sagt er nach einem Blick auf seine Uhr. Zum Abschied schüttelt er mir noch einmal kräftig die Hand. Dann verschwindet er, genauso lässig und unspektakulär, wie er gekommen ist.
Greenpeace ist heute mit Büros in 40 Ländern eine der größten unabhängigen Umweltorganisationen der Welt. Ihre Arbeit wird von mehr als 2,9 Millionen Menschen unterstützt. Kampagnen werden über Spenden finanziert. Strategisch setzt Greenpeace dabei auf gewaltfreie, direkte Konfrontationen. Speziell trainierte ehrenamtliche Aktivisten stellen sich dabei Umweltsündern direkt in den Weg. Diese Strategie soll dazu dienen, Missstände aufzudecken und die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Parallel zu Protestaktionen setzt sich die Organisation mit Lobbyarbeit für die Weiterentwicklung internationaler Abkommen im Umweltschutz ein. Der Klimawandel ist derzeit das zentrale Thema der Kampagnenarbeit. Umweltaspekte werden dabei zunehmend stärker im Zusammenhang mit sozialen Fragen gedacht.
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