»Mir reicht's, wie's ist«, aber: Wie ist es?
Dubrovnik: Schönheit in Stein – und die Weltgeschichte wie in einer Nussschale
Auf der nahen Insel Korcula sei kein Geringerer als Marco Polo geboren. Damit hebt manche Werbeschrift zu Dubrovnik an, der südlichsten und berühmtesten Stadt des kroatischen Dalmatiens. Dabei hat dieses Dubrovnik an der Adria nichts weniger nötig, als sich mit einer nahen Insel oder gar mit vermeintlich fremden Federn zu schmücken. Venedig sieht sich schließlich ebenso als Vaterstadt des großen Weltentdeckers. »Sollen die doch«, sagt Darko Mandir, der Wirt der Konoba »Kamenica«. »Wenn die 's dort nötig haben. Mir reicht Dubrovnik wie es ist.«
Wie aber ist es?
Ist von Dubrovnik die Rede, meint man meist Stari grad, die Altstadt. Und ist dann eben von ihr die Rede, kippen fast alle Beschreibungen irgendwann ins Euphorische. Sicher nicht ganz zu Unrecht.
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Man stelle sich eine, ursprünglich kliffartige, zerklüftete Halbinsel vor, ungefähr ein Quadratkilometer groß, die wiederum der östlichste Zipfel einer viel größeren Halbinsel ist. Mattgraues Urgestein an der, präziser: auf der Adria, wie sie blauer nicht geht. Darauf bekam Dubrovnik etwa ab dem 12. Jahrhundert seine Konturen. Später teilte es sich mit Venedig den Rang der reichsten Hafen- und Handelsstadt der gesamten Hemisphäre. In der Jetztzeit steht sie bereits seit über 30 Jahren auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste.
Der Grundriss folgt römischer Strenge; doch die wird von den natürlichen Felsfalten immer wieder gebrochen, so dass das nüchterne Konstrukt sich der natürlichen Harmonie des Ortes anzuschmiegen scheint. Wer heute in dieser Altstadt wohnt – und rund 2000 von zirka 40 000 Dubrovcani tun das –, der wohnt wahrlich in einem Altbau. Romanik, Gotik, Renaissance. Alles Stein. Marmor, Sandstein, Granit. Vom Dachfirst bis zum Pflaster. Wohnhäuser, Kirchen, öffentliche Gebäude, Denkmäler, der Alte Hafen.
Und über allem Stein liegt diese feine Patina, die so raffiniert in der Sonne reflektiert und nach Regen zu einem grandiosen Spiegel wird. Dazwischen immer wieder mediterrane Blütenpracht. Oft auf kleinstem Raum, auf Dachvorsprüngen und über Erkern, auf den Balkonen, den Terrassen, Treppen. Und schließlich um alles herum eine Mauer: sechs Meter dick, 25 Meter hoch, fast 2000 Meter lang mit vier Forts und dem Pile-Tor, quasi der Haupteingang zur Alten Stadt von der Landseite aus. Alles uneinnehmbar. Früher von Fremden fast ausschließlich in geschäftlichen Dingen betreten. Heute übrigens auch noch. Das Geschäft heißt jetzt Tourismus.
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»Aber nicht in erster Linie ihre Lage und ihre Mauern haben Dubrovnik – oder Ragusa, wie es ja lange hieß – bis in die Neuzeit als selbstständigen Stadtstaat überleben lassen. Die Dubrovcani waren vor allem für ihr diplomatisches Geschick und ihre politische Klugheit berühmt«, versichert Stadtführer Miho Dujmovic den Touristengruppen immer wieder stolz. Berühmt – und berüchtigt, sollte man da hinzufügen. Denn das funktionierte natürlich nur mit Bestechung, Erpressung, Intrigen, sowie einem hoch qualifizierten Spionage- und ausgesuchten Kurtisanenpersonal.
»Für kein Gold der Welt werden wir unsere Freiheit verkaufen«, hatte Ivan Gundulic, Dubrovniks großer Literat des 17. Jahrhunderts, als moralisches Credo für seine Heimat beschworen. So ist es auch über dem Eingang des Lovrjenac-Forts in Stein gemeißelt. Die Politik drehte das Ganze jedoch um: Freiheit für Gold, hieß die strategische Devise.
Mit anhaltendem Erfolg. Praktisch sah das beispielsweise so aus: Nach dem Friedensschluss von Zadar 1358 hatte Dubrovnik im Westen die Oberhoheit der kroatisch-ungarischen Könige anerkannt und zahlte ihnen Tribut – exakt bis zum Tag von deren Niederlage gegen die Osmanen von Mohács 1526. Aber auch zur Großmacht im Osten, den Osmanen, zogen bereits ab 1420 regelmäßig Delegationen. Mit jährlichen Tributen von zuletzt, nämlich im Jahr 1718, 12 500 Dukaten. Allein deren Goldwert liegt heute bei über einer Million Euro, der vergleichsweise Kaufwert beträgt ein Vielfaches.
So sahen die Preise aus, die Dubrovnik für bleibende Selbstständigkeit überwies. Die zwischen Indischem Ozean und der Ostsee gereederten rund 200 Handelsschiffe konnten weiter fahren, die Konsuln aus über 80 Ländern der Welt konnten sich in den Mauern der Stadt weiter sicher fühlen.
Freiheit für Geld ist für den, der es hat, sicher kein schlechter Tausch. Seine Unabhängigkeit sichert Dubrovnik glänzende Geschäfte. Auch innenpolitisch wurde darauf geachtet, dass die am Laufen blieben. So war beispielsweise das Rotationsprinzip perfektioniert worden, um Korruption und Bestechlichkeit das Wasser abzugraben. Von 1385 bis zur Eingliederung Dubrovniks in die illyrischen Provinzen des napoleonischen Frankreichs 1808 sah das politische Dasein eines ersten Mannes der Republik, des Rektors, beispielsweise so aus: Wahl für nur einen Monat ins Amt. Für diese Zeit Einschluss im Rektorenpalast mit der gesamten Familie. Beichte nur beim palasteigenen Pfarrer, Wiederwahl erst nach einem Jahr möglich.
Ähnlich funktionierte das in den anderen Gremien. Jahrhunderte lang. Aber bitte keine Häme angesichts der Bruchlandungen heutiger ähnlich ambitionierter deutscher Parteien. Denn Dubrovnik nannte sich zwar Republik, war aber selbstverständlich eine Oligarchie. Die jährlich rotierende Regierung bestand nur aus Adligen. Man blieb also immer unter sich und wusste, was man hatte. Zudem waren die Gesetze entsprechend. Schon für Verschwörungsversuche, das Rotationsprinzip zu brechen, galt »Kopf ab«.
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Selbst der, der von all dem noch nie gehört hat, spürt jedoch, wenn er durch Dubrovnik streift, dass das alles etwas Außergewöhnliches hat. Die Gesamtheit macht es, aber es wirken eben auch ihre Details. »Vielleicht, weil hier Weltgeschichte, vor allem natürlich die alte, wie in einer Nussschale präsent ist«, meint Anita Bijelis, die in Dubrovnik wohnt, jetzt studiert und im Ferienjob am Alten Hafen Tickets für Ausflugsfähren an Frau und Mann bringt.
Recht hat sie, denkt der Reporter, der öfter durch die Gänge dieser Nussschale wandelt und dort längst Lieblingsorte gefunden hat: Die seit 1317 funktionierende Franziskanerapotheke. Den Buch- und Zeitungsladen auf dem Stradun, der Hauptstraße, nahe dem Lucaplatz, der, für kroatische Verhältnisse so üblich nicht, auch kyrillisch Gedrucktes führt. Natürlich die Schatzkammer der Kathedrale und bei nicht gar zu großer Hitze und nicht gar zu großem Andrang auch oben den Weg auf der Festungsmauer. Den steinernen Roland, von dessen rechter Unterarmlänge einst die Dubrovniker Elle für das Markttreiben geeicht wurde. Schließlich vor dem Alten Hafen das Fort Ivan. Unterhalb dessen fetten Mauern kann man von den Klippen aus in die – natürlich auch hier azurblaue – Adria raus schwimmen.
Das machen übrigens viele, die in Dubrovnik arbeiten, in ihrer, so sie eine haben, Mittagspause. Ein idealer Fluchtraum ist das dort auch dann, wenn die Stadt selbst anderenorts von den mit verschiedenfarbigen Basecaps oder T-Shirts uniformierten Hundertschaften überflutet wird, die sich in der Saison mehrmals pro Woche aus Kreuzfahrtschiffen über sie ergießen. Was nicht sehr anheimelnd ist. Doch was soll 's. Die Dubrovcani verhandeln heute schließlich nicht mehr mit Weltmächten auf Augenhöhe. Deshalb müssen sie das Credo ihrer Großen Gundulic, für kein Gold der Welt die eigene Freiheit zu verkaufen, eben ein bisschen modifizieren. Und die diplomatische Geschmeidigkeit dafür ward ihnen ja in die Wiege gelegt.
- Kroatische Zentrale für Tourismus, Tel.: 069 - 23 85 350, www.de.croatia.hr
- ND-Leserreisen, Tel.. 030- 29 78- 1621, - 1620.
- Lore Marr-Bieger, Mittel- und Süd-Dalmatien, Michael Müller Verlag, Erlangen, 2009, 378 S., 19,90 Euro
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