Kein »Cambio« durch Linke in El Salvador
Präsident Funes verliert das Vertrauen der Bevölkerung, der Teilerfolge nicht ausreichen
Er ist ausgeblieben: der erwartete »cambio«, der grundlegende Wandel in El Salvador. Die Anfangseuphorie, die dem ersten linken Präsidenten in der Landesgeschichte, Mauricio Funes, nach den ersten 100 Tagen noch hohe Zustimmungswerte von über 80 Prozent bescherte, ist längst verflogen. Gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt im Juni 2009 ist die Zustimmung zu seiner Amtsführung im Keller, auch wenn sich Funes verständnisvoll zeigt und etwa den wegen der ausgebliebenen Gehaltserhöhung enttäuschten Lehrern entgegnete: »Ich habe kein Geld«. Fast schon trotzig fügte er hinzu: »Aber trotz alledem hat El Salvador sich verändert.«
In der Tat hat die Regierung ihre sozialpolitischen Anstrengungen der Anfangsphase weitergeführt. Bis zu 800 Millionen US-Dollar werden bis Ende 2011 in Sozialprogramme geflossen sein, die hauptsächlich ländlichen Familien, Kindern und alleinerziehenden Frauen zugute kommen. Diese Initiativen tragen erste Früchte. So ist die Mais- und Bohnenernte in 2011 die größte in der Geschichte El Salvadors. Ein weiteres Novum: Ein Schulförderprogramm mit einem Volumen von 104 Millionen US-Dollar stellt erstmals flächendeckend kostenlos Lernmaterialien für Grundschüler zur Verfügung.
Aber die großen Probleme des Landes, die die öffentliche Meinung beherrschen, scheint Funes nicht in den Griff zu bekommen. Die Kriminalität ist nicht zurückgegangen. Noch immer hat El Salvador eine der höchsten Mordraten der Welt. Bereits im September liegt die Zahl der Toten über der von 2009, das als gewalttätigstes der letzten zehn Jahre galt. Allein 97 Schüler wurden nach Angaben der Polizei zwischen Januar und Ende Juli ermordet. Der größte Teil geht auf das Konto von Jugendbanden, die – so musste der stellvertretende Bildungsminister Eduardo Badía Serra einräumen – Einfluss auf die Schulen erlangt haben. Korruption und Drogenhandel sind weitere Gewaltquellen. Der Einsatz des historisch vorbelasteten Militärs kam in seiner Partei FMLN und den sozialen Bewegungen nicht gut an. Es ist dieselbe Politik der harten Hand, die bereits seine konservativen Amtsvorgänger betrieben.
Nach Meinung von Experten sei das Problem komplexer und vor allem auf die extremen sozialen Ungleichheiten im Land zurückzuführen. Da aber für die unmittelbare Verbrechensbekämpfung Unsummen ausgegeben werden, fehlt das Geld für weitere Sozialinvestitionen.
Die extensive Ausgabenpolitik lässt zudem die Staatsverschuldung steigen. Das Niveau liegt bereits über dem der letzten vier konservativ-reaktionären Regierungen. Die Schuldenkrise der USA schlägt wegen der Dollarisierung El Salvadors und der Geldtransfers der nach Nordamerika geflüchteten Familienangehörigen direkt auf das kleine Land durch. Wirtschaftsinstitute sagen bereits eine Krise ähnlich wie in Griechenland voraus, sollte das Land sein Budget nicht in den Griff bekommen. Eine Inflationsrate von über fünf Prozent und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums verschärfen die Situation. Und so sagen trotz der sozialen Programme 83 Prozent der Salvadorianer, dass ihre Lebenshaltungskosten in den beiden letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Wirtschaftspolitisch setzt Funes seinen unternehmerfreundlichen Kurs fort. Ein Gesetz, das den Bewohnern die hohen Festnetz-Telefongebühren von monatlich fast zehn US-Dollar vom Hals schaffen sollte, lehnte er ab. Man dürfe ausländische Unternehmen nicht verschrecken. Die salvadorianische Telecom gehört zum Firmenimperium des mexikanischen Milliardärs Carlos Slim. »Für den Präsidenten sind die Interessen der transnationalen Konzerne wichtiger als die der Mehrheit der Bevölkerung«, so die Präsidentin einer Sozialarbeitervereinigung.
Außenpolitisch traf Funes jüngst eine überraschende Entscheidung: Die Entsendung von 22 Soldaten nach Afghanistan. Im Wahlkampf hatte er sich noch für den Abzug der Truppen aus dem Irak stark gemacht. El Salvador war das einzige lateinamerikanische Land, das die »Koalition der Willigen« unterstützte. Damals regierte die rechtsextreme ARENA-Regierung.
Innenpolitisch am meisten diskutiert wurde das »Dekret 743«. Es sollte die Befugnisse des salvadorianischen Verfassungsgerichts einschränken, das zuletzt einige historische Urteile gesprochen hatte. Dadurch wurde die Verfolgung von Verbrechen hochrangiger Militärs während des Bürgerkriegs möglich. Unter dem Beifall von Teilen der Rechten stimmte Funes dem Dekret zunächst zu. Erst später wurde es aufgehoben. So wächst die Distanz zwischen Partei und Präsident. Und die Bevölkerung ist ernüchtert.
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