Ver.di geht mit Kirchen ins Gericht
Gewerkschaft kündigt Streiks und Proteste bei der Diakonie an
»Schluss mit den vordemokratischen Zuständen in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen!« So erklärte ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske, worum es im Kern bei der für nächste Woche angekündigten »Aktionswoche Diakonie« der Dienstleistungsgewerkschaft geht. Das Streikrecht in den kirchlichen Betrieben war am Mittwoch ein großer Schwerpunkt.
Für den Zeitraum vom 26. bis zum 29. September sind Proteste in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geplant, Streiks soll es in ausgewählten diakonischen Einrichtungen in Niedersachsen sowie in Hamburg geben.
Das Problem: In den kirchlichen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Es gibt keine Betriebsräte, keine Tarifverträge und kein Streikrecht. Die Regelung stützt sich auf das grundgesetzlich geregelte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Stattdessen gibt es Arbeitsrechtliche Kommissionen, die mit Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt sind. Dort werden »Allgemeine Geschäftsbedingungen« ausgehandelt, die rechtlich keine Tarifverträge sind.
Jahrzehnte ging das gut. Solange nämlich, wie die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst von den Kirchlichen übernommen wurden. Doch seit den 90er Jahren, seitdem ein scharfer Konkurrenzkampf in Pflege und Gesundheitswesen tobt, verschaffen sich die Arbeitgeber Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Beschäftigten, so die Kritik von ver.di. Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen sind das Ergebnis.
Auch im evangelischen Krankenhaus in Oldenburg soll nächste Woche gestreikt werden, erzählt die dort als OP-Schwester tätige Maike Hecheltjen. In der Verhandlung um Arbeitsbedingungen und Bezahlung ging es in der Kommission nicht weiter. Das letzte Angebot der Arbeitgeber habe einerseits eine Arbeitszeitaufstockung beinhaltet. Andererseits: »Wir fordern Entgelterhöhungen für die oberen Lohngruppen«, sagt Hecheltjen. Besonders die Ärzte hätten in den letzten Jahren Verzicht geübt. »Aber das wird bei den unteren Lohngruppen, beispielsweise bei den Pflegehelfern, wieder weggenommen, und die verdienen so schon viel zu wenig.« Die Arbeitnehmerseite habe daraufhin die Gespräche abgebrochen und ruft für nächste Woche zum Warnstreik auf, um zum ersten Mal in Tarifgespräche zu gehen. »Die Arbeitsrechtliche Kommission kommt nicht mehr in Frage«, sagt Hecheltjen, »das ist vorbei.«
Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte im Januar das Streikverbot bei kirchlichen Arbeitgebern in Frage gestellt. Ver.di und die Kirchen wollen den Rechtsstreit indes bis in die höchsten Instanzen tragen. Für nächste Woche ist denkbar dass die Arbeitgeber versuchen, den Streik per einstweiliger Anordnung gerichtlich verbieten zu lassen. Doch ver.di hat bei verschiedenen Arbeitsgerichten sogenannte Schutzschriften hinterlegt, mit denen Eilentscheidungen bzw. solche ohne mündliche Verhandlung erschwert werden. »Wir gehen also davon aus, dass wir den Streik durchziehen«, sagt ver.di-Sekretär Georg Güttner-Mayer. Der Kongress nahm unterdessen am Mittwoch einen Antrag vom Gewerkschaftsrat »Demokratie für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen stärken« einstimmig an.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.