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Spieler und Gegenspieler

Hans Lucke: »Jud Goethe«, eine Groteske

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast möchte man glauben, es sei wirklich so geschehen. Schließlich weiß man, dass Lenker autokratischer Staaten keinen Spaß verstehen, dass aus Satire schnell Ernst gemacht wird – mit entsprechenden Folgen. Indes, dem Buchenwald-Häftling Wenzel Haschke kam's zugute, dass er im März 1939 in den »Brünner Botschaften« einen Artikel unter dem Titel »Rassische Konsequenzen« veröffentlicht hatte, in dem er diverse Mutmaßungen anstellte, Goethe könne jüdische Vorfahren gehabt haben. Der junge Mann aus Reichenberg hatte den Einfall von seiner Mutter, die auch Jüdin war und, zunächst, nach Belgrad floh. Ein sarkastisches Gedankenspiel: Wäre Goethe nicht »reinrassig«, bekämen die Deutschen ein Problem. Wenzel selbst will die Mutter nicht verleugnen. Er lehnt das Angebot ab, zwecks »Arisierung« in die deutsche Wehrmacht einzutreten. Er kommt ins KZ und hätte wohl nicht überlebt, wäre nicht ein gewisser Dr. Quandt auf ihn aufmerksam geworden – eben jenes Artikels wegen.

Was für eine verrückte Geschichte ist das, die uns Hans Lucke da erzählt. Ein SS-Mann als Goethe-Kenner und ein Häftling, der nun schnellstens zu einem solchen werden muss. Denn unter keinen Umständen darf er zugeben, dass er lediglich seinem Zorn über den deutschen Rassenwahn Luft machen wollte und seine Behauptungen bezüglich Goethe aus der Luft gegriffen waren. Stattdessen muss er – mit Hilfe der Sophien-Ausgabe, die ihm Dr. Quandt zur Verfügung stellt –, Indizien konstruieren. Könnte Goethe nicht über Dokumente verfügt haben, die er verstecken musste, um seine jüdische Herkunft zu vertuschen? Und wo hat er sie wohl versteckt? In einem Kloster? In der Schweiz? In Italien? Da könnte man sich auf Reisen begeben. Unterdessen fahndet die Gestapo nach Wenzels Mutter. Als Germanistik-Professorin dürfte sie noch mehr von der Sache wissen ...

Hatte Wenzel Haschke in seinem Artikel nicht »den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, den Reichsinnenminister und den obersten SS-Führer« direkt zum Handeln aufgefordert? Die handelten nun. Dr. Quandt agiert in höchstem Auftrag – und ist dabei so schlau zu wissen: Es ist ein riskantes Spiel. Einerseits hat er schnellstens befriedigende Ergebnisse vorzuweisen, andererseits sollten sich seine literaturhistorischen Bemühungen ruhig noch ein bisschen hinziehen; keinesfalls möchte er an die Front.

»Der dramaturgische Höhepunkt ist erreicht, wenn der Leser durchschaut, in welch vertrackter Abhängigkeit sich Spieler und Gegenspieler befinden«, schreibt Wulf Kirsten in seinem Nachwort, »wie einer auf den anderen angewiesen ist«. Wobei Hans Lucke dieses Verhältnis immer wieder auf die Kippe stellt. Mehrfach schwebt Wenzel Haschke in Gefahr – selbst nach dem Krieg noch, als ihm niemand glauben will, dass er, in Zivil mit einem Gestapo-Mann unterwegs, nicht zu den Verbrechern gehörte.

Ein spannendes Buch, in dem Hans Lucke, der lange Schauspieler war und inzwischen als Autor in Mellingen bei Weimar lebt, immer wieder mit Details aus Goethes Leben überrascht. Dichtung oder Wahrheit? Wie Wenzel Haschke hat er Fiktionen so geschickt untermauert, dass man an ihnen kaum zweifeln mag.

Hans Lucke: Jud Goethe. Erzählung. Wartburg Verlag. 75 S., brosch., 12,50 €.

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