So viel Last, das muss nicht sein!

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In der öffentlichen Debatte werden die Zahler des Spitzensteuersatzes oftmals mit Spitzenverdienern gleichgesetzt. Der Spitzensteuersatz trifft mitnichten nur Spitzenverdiener, er greift ab einem Jahreseinkommen in Höhe von 52 882 Euro. Das heißt: Bereits gut verdienende Angestellte und Facharbeiter zählen dem Steuerrecht zufolge zu den Spitzenverdienern.

1958 lag die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz bei 110 040 DM bzw. rund 56 000 Euro. Heute liegt trotz Inflation und Kaufkraftverlusten die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz noch unter der von 1958. Während damals ein Beschäftigter mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 110 040 DM zu den Spitzenverdienern gehörte, kann man das heute von jemandem mit einem Einkommen von 52 882 Euro nur bedingt behaupten.

Im Laufe der Zeit hat das Steuerrecht eine gewaltige Stauchung erfahren. Bildete das Steuerrecht 1958 noch die gesamte gesellschaftliche Spannbreite der Einkommen ab, von Geringverdienern mit einem Einkommen in Höhe von 1681 DM (860 Euro) bis zu Topverdienern mit mehr als 110 040 DM, so differenziert das Einkommensteuerrecht von 2011 nur noch in dem Einkommensbereich von 8004 bis 52 882 Euro. Inflation und Kaufkraftverluste führen dazu, dass das Steuerrecht sich kontinuierlich auf einen Einheitssteuersatz hin bewegt, mit dem Spitzensteuersatz als Regelsteuersatz für die gesellschaftliche Mitte. Mit dem Anspruch einer an der Leistungsfähigkeit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen orientierten Besteuerung hat das nur wenig zu tun.

Der Spitzensteuersatz trifft nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Personengesellschaften. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind oft in dieser Rechtsform organisiert. Auch sie wären von einer Anhebung des Spitzensteuersatzes getroffen. Dabei sind es, wie der letzte Aufschwung gezeigt hat, gerade diese Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen und so den öffentlichen Haushalt entlasten. Während Großkonzerne mit einem Unternehmensteuersatz von ca. 30 Prozent besteuert werden, müssen Personengesellschaften 42 Prozent Steuern entrichten - und haben damit einen erheblichen Wettbewerbsnachteil.

Weder SPD noch Grüne fordern höhere Unternehmenssteuern, beide wollen aber einen höheren Spitzensteuersatz. Wer eine solche Politik macht, betreibt Klientelpolitik für Konzerne und benachteiligt kleinere Unternehmen, denn diese stehen im Wettbewerb mit Großunternehmen. Es gibt volkswirtschaftlich kaum einen Grund, warum wir Großunternehmen und Konzerne gegenüber kleinen und mittleren Betrieben bevorzugen sollten. Wer einen höheren Spitzensteuersatz fordert, sollte auch hier sehr gute Gründe haben. Deshalb kritisieren auch prominente Grüne, wie etwa Renate Künast, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf über 45 Prozent als mittelstandsfeindlich.

Auch das Argument, dass in Deutschland die starken Schultern nicht genügend Lasten tragen, stimmt nicht. Während der Steuerfreibetrag seit 1958 immer wieder angehoben wurde, und zwar von rund 860 auf 8000 Euro, ist die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz sogar abgesenkt worden. Während der Steuerfreibetrag seit 1958 um rund 930 Prozent angehoben wurde, ist die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz im gleichen Zeitraum um rund sechs Prozent abgesenkt worden. Während die Anpassungen im unteren Einkommensbereich eine soziale Errungenschaft sind, wirkt die ausgebliebene Anpassung der Einkommensgrenzen im mittleren Bereich zunehmend leistungsfeindlich.

Soziale Gerechtigkeit besteht nicht nur darin, die Schwachen zu unterstützen, sie besteht auch darin, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht zu überlasten.

In Deutschland tragen die (gemessen an der Einkommenshöhe) oberen fünf Prozent der Einkommen zu rund 42 Prozent des Einkommenssteueraufkommens bei. Gleichzeitig tragen die unteren 50 Prozent der Einkommen einen Anteil von 6,2 Prozent des Einkommenssteueraufkommens. Diese Zahlen zeigen zum einen, dass in Deutschland starke Schultern auch größere Lasten tragen, und zum anderen, dass die Umverteilung im Einkommenssteuersystem funktioniert.

So richtig es ist, dass höhere Einkommen auch einen höheren Beitrag zum Steueraufkommen leisten, so falsch ist es, Leistung unter Generalverdacht zu stellen. Von der Leistung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profitieren Land und Gesellschaft. Sie ist das Fundament auf dem der Sozialstaat steht.

Ein Sozialstaat, der sich nur noch über seine Ausgaben, aber nicht mehr über eine gerechte Besteuerung definiert, ist alles andere als gerecht.

Volker Wissing, geboren 1970,
ist finanzpolitischer Sprecher
und stellvertretender Vorsitzender
der FDP-Bundestagsfraktion.

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