- Kommentare
- Gastkolumne
Marktkonforme Volksvertreter
Damals war es, im Mai 2004. Der von Angela Merkel und Guido Westerwelle zum Bundespräsidenten ausgekungelte IWF-Chef Horst Köhler war seit einer Woche gewählt und stellte auf einer Pressekonferenz in den Räumen der Dresdner Bank sein Buch vor: »Offen will ich sein und notfalls unbequem«. Ich fragte ihn, wie sein dort geäußertes Verlangen zu verstehen sei, Angela Merkel möge »bei der Tiefe und Breite der Reformpolitik« durchaus »Maß nehmen« an Margaret Thatcher. Meine Frage, so beschied mich Horst Köhler, sei »nicht zielführend«.
Margaret Thatcher hatte den britischen Sozialstaat zerstört, London zum Spielkasino des Kapitals heruntergewirtschaftet. Daran werkelt inzwischen Angela Merkel für unser Land. Und am Donnerstag errang sie im Parlament dafür ihre Kanzlerinnenmehrheit samt rosagrüner Unterstützung.
Noch Anfang September schien es fast wie ein Traum, im Deutschlandfunk sprach sie: »Wir leben ja in einer Demokratie, und das ist eine parlamentarische Demokratie, und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments, und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist.«
Marktkonform. Viele Volksvertreter wussten bei einer »Panorama«-Umfrage am Donnerstagmorgen nicht einmal, über wie viele Milliarden – 211, das sind zwei Drittel des Bundeshaushalts – sie gleich abstimmen. Zielführend allein ist: Das Parlament – mit Ausnahme der LINKEN – hat sich so marktkonform erwiesen wie die regierende Angestellte der Banken. Die hatte immer das Ziel vor den Augen.
Alternativlos war es, dass sie ihr Kanzleramt der herrschenden Deutschen Bank als Gästehaus zur Verfügung stellte: für die Feste von Josef Victory Ackermann. Und jetzt löste ihr Sieg im Parlament also gleich Erleichterung im Frankfurter Börsensaal aus.
Der Eurorettungsschirm EFSF heißt unabgekürzt Europäische Finanzstabilisierungfazilität. Fazilität bedeutet laut Dudenwörterbuch »Gefälligkeit«. Und so liefern die öffentlichen Zentralbanken den großen privaten Banken Geld zu einem Prozent Zins. Die geben es weiter an notleidende Staaten wie Griechenland zu achtzehn Prozent. Und wenn die dann unter solchem Europäischen Rettungsschirm marktkonform ihre Anleihen nicht mehr zurückzahlen können, ersetzen wir Steuerzahler den Banken die Verluste, die sie mit unserem Geld gemacht haben – das ist die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität. Das Land aber, dem so geholfen wurde, ist kaputt. Wie damals, 1944, als die Vorgänger der Bundeswehr unter Mitnahme des Staatsschatzes und aller verfügbaren Rohstoffe das hungernde Griechenland verließen – Wiedergutmachung gab es nie, nicht einmal für das Massaker von Distomo.
Zu Beginn des Jahrtausends, als Horst Köhler IWF-Präsident war, verordnete er dem überschuldeten Argentinien auch so ein Sparprogramm, wie es den Banken recht war – es hätte das Land ins Elend getrieben. Doch Argentinien erklärte sich zum Missfallen des Geldgewerbes pleite, die Banken mussten bluten und dem Land ging es besser. Horst Köhlers IWF-Nachfolgerin Christine Lagarde hat, kurz bevor der Bundestag marktkonform abstimmte, gefordert, die großen Banken in öffentlich-rechtliches Eigentum überzuführen. Diese Frau kommt nicht aus Deutschland.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!