Marktkonforme Volksvertreter

  • Otto Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Der »Ossietzky«-Mitherausgeber Otto Köhler gestaltet am 3. Oktober um 20 Uhr im Hamburger »Polittbüro« die ultimative Feierstunde zum Tag der Einheit mit einer Lesung aus seinem Treuhand-Buch »Die Große Enteignung«.
Der »Ossietzky«-Mitherausgeber Otto Köhler gestaltet am 3. Oktober um 20 Uhr im Hamburger »Polittbüro« die ultimative Feierstunde zum Tag der Einheit mit einer Lesung aus seinem Treuhand-Buch »Die Große Enteignung«.

Damals war es, im Mai 2004. Der von Angela Merkel und Guido Westerwelle zum Bundespräsidenten ausgekungelte IWF-Chef Horst Köhler war seit einer Woche gewählt und stellte auf einer Pressekonferenz in den Räumen der Dresdner Bank sein Buch vor: »Offen will ich sein und notfalls unbequem«. Ich fragte ihn, wie sein dort geäußertes Verlangen zu verstehen sei, Angela Merkel möge »bei der Tiefe und Breite der Reformpolitik« durchaus »Maß nehmen« an Margaret Thatcher. Meine Frage, so beschied mich Horst Köhler, sei »nicht zielführend«.

Margaret Thatcher hatte den britischen Sozialstaat zerstört, London zum Spielkasino des Kapitals heruntergewirtschaftet. Daran werkelt inzwischen Angela Merkel für unser Land. Und am Donnerstag errang sie im Parlament dafür ihre Kanzlerinnenmehrheit samt rosagrüner Unterstützung.

Noch Anfang September schien es fast wie ein Traum, im Deutschlandfunk sprach sie: »Wir leben ja in einer Demokratie, und das ist eine parlamentarische Demokratie, und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments, und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist.«
Marktkonform. Viele Volksvertreter wussten bei einer »Panorama«-Umfrage am Donnerstagmorgen nicht einmal, über wie viele Milliarden – 211, das sind zwei Drittel des Bundeshaushalts – sie gleich abstimmen. Zielführend allein ist: Das Parlament – mit Ausnahme der LINKEN – hat sich so marktkonform erwiesen wie die regierende Angestellte der Banken. Die hatte immer das Ziel vor den Augen.

Alternativlos war es, dass sie ihr Kanzleramt der herrschenden Deutschen Bank als Gästehaus zur Verfügung stellte: für die Feste von Josef Victory Ackermann. Und jetzt löste ihr Sieg im Parlament also gleich Erleichterung im Frankfurter Börsensaal aus.

Der Eurorettungsschirm EFSF heißt unabgekürzt Europäische Finanzstabilisierungfazilität. Fazilität bedeutet laut Dudenwörterbuch »Gefälligkeit«. Und so liefern die öffentlichen Zentralbanken den großen privaten Banken Geld zu einem Prozent Zins. Die geben es weiter an notleidende Staaten wie Griechenland zu achtzehn Prozent. Und wenn die dann unter solchem Europäischen Rettungsschirm marktkonform ihre Anleihen nicht mehr zurückzahlen können, ersetzen wir Steuerzahler den Banken die Verluste, die sie mit unserem Geld gemacht haben – das ist die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität. Das Land aber, dem so geholfen wurde, ist kaputt. Wie damals, 1944, als die Vorgänger der Bundeswehr unter Mitnahme des Staatsschatzes und aller verfügbaren Rohstoffe das hungernde Griechenland verließen – Wiedergutmachung gab es nie, nicht einmal für das Massaker von Distomo.

Zu Beginn des Jahrtausends, als Horst Köhler IWF-Präsident war, verordnete er dem überschuldeten Argentinien auch so ein Sparprogramm, wie es den Banken recht war – es hätte das Land ins Elend getrieben. Doch Argentinien erklärte sich zum Missfallen des Geldgewerbes pleite, die Banken mussten bluten und dem Land ging es besser. Horst Köhlers IWF-Nachfolgerin Christine Lagarde hat, kurz bevor der Bundestag marktkonform abstimmte, gefordert, die großen Banken in öffentlich-rechtliches Eigentum überzuführen. Diese Frau kommt nicht aus Deutschland.

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