Afrika im Mittelpunkt
Hans d’Orville über die aktuellen Herausforderungen für die UNESCO
ND: Welche Aufgaben und Ziele stellt sich die UNESCO?
Diese leiten sich aus der Verfassung der UNESCO ab, die besagt, dass Kriege in den Köpfen der Menschen entstehen und auch Frieden nur in den Köpfen wachsen kann durch vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit. Wie der Name schon sagt, ist die UNESCO für Erziehung, Wissenschaft und Kultur zuständig, nach einigen Jahren kamen noch Kommunikation und Information hinzu. Als zwischenstaatliche Organisation beraten wir vor allem Staaten und ihre Entscheidungsträger. Wir orientieren uns dabei an den »Millenniumszielen« der UNO.
Im Erziehungsbereich ist unsere Hauptaufgabe Erziehung für alle, mit Primär-, Sekundär- und universitärer Bildung, lebenslangem Lernen, Berufsausbildung und Erziehung für Nachhaltige Entwicklung. Auf dem Gebiet der Wissenschaft machen wir Wissenschafts-, Technologie- und Innovationsberatung. Dazu gehört nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Wasser, Biosphärenreservate, Biodiversität, aber auch Ethik der Wissenschaft.
Auf dem Gebiet der Kultur haben wir vor allem die Welterbeliste, wo die Entscheidungen aber nicht vom Sekretariat getroffen werden, sondern von den Mitgliedsländern - sowohl, wenn es gilt, neue Welterbestätten zuzulassen oder auch zu warnen, wenn es Probleme gibt, und zu deklassifizieren, wenn keine Abhilfe geschaffen wurde. Kultur ist auch ein Entwicklungsfaktor. Die Anerkennung als Welterbestätte bringt 30 Prozent mehr Touristen. Das kann in Entwicklungsländern sehr wichtig sein für die Armutsbekämpfung.
Auf dem Gebiet der Information und Kommunikation geht es vor allem um die Freiheit der Presse und den Schutz der Journalisten. Hier beraten wir Regierungen und Parlamente, um entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen. Die UNESCO hilft aber auch bei der Ausbildung von Journalisten in Entwicklungsländern.
Die Geschichte der UNESCO war über viele Jahre stark von der Konfrontation zwischen Ost und West geprägt. Ist das überwunden oder wie haben sich die Fronten jetzt verschoben?
Das betraf das gesamte UN-System. Es hat sich nur in der UNESCO manchmal schärfer artikuliert, weil es hier um ideologische Fragen ging. Nach 1990 hat sich das verschoben. Heute liegt der Schwerpunkt zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern, aber innerhalb der Entwicklungsländer gibt es jetzt noch die BRICS - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika -, Länder mit mittlerem Einkommen, die nach oben kommen und in ihrer Entwicklung ganz andere Bedürfnisse haben als zum Beispiel Burundi oder andere der am wenigsten entwickelten Länder. Die einen haben Basisbedürfnisse, die anderen streben auf den globalisierten Weltmarkt. Aber für alle gilt: Ohne Erziehung, Wissenschaft oder Kultur schaffen sie es nicht.
In den 70er und 80er Jahren ging es in der UNESCO hoch her insbesondere beim Thema Weltinformationsordnung, was zum zeitweiligen Austritt der USA führte.
Die Informationsordnung war ja mitten im Kalten Krieg und hatte da eine ganz bestimmte Funktion. Und nicht nur die USA sind ausgetreten, auch Großbritannien und Singapur. Später sind sie zurückgekommen, aber heraus gehen, ist einfacher als wieder zurückzukommen. Jetzt gibt es einen Konflikt durch den Antrag Palästinas. Der wird auf Beschluss des Exekutivrats der Generalversammlung unterbreitet. Noch ist alles offen, auch was die mögliche Reaktion der USA betrifft.
Sie sind bei der UNESCO für die Strategische Planung zuständig. Was plant die Organisation und welche Themen werden die nächsten Jahre bestimmen?
Wir arbeiten mit einer mittelfristigen Finanz- und Programmplanung. Die Richtung ist vorgegeben durch die »Millenniumsziele«, wie zum Beispiel Erziehung für alle. Das geht bis 2015, aber wir wissen heute schon, dass dann viele dieser Ziele noch nicht erreicht sein werden und hier weitergearbeitet werden muss.
Wir erwarten, dass auf der UNO-Gipfelkonferenz im Juni 2012 in Rio neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung formuliert werden. Wir arbeiten daran, dass hier auch wissenschaftliche oder kulturelle Aspekte einbezogen werden. Doch die globalen Prioritäten sind und bleiben für die UNESCO wie für das gesamte UN-System erstens Afrika, das durch alle und in jeder Weise unterstützt werden muss, und zweitens die Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter.
UNESCO-Fakten
Bildung
Bildung ist der Schlüssel für Entwicklung - und eine der Säulen der Tätigkeit der UNESCO, die das UN-Aktionsprogramm »Bildung für alle« koordiniert. UNESCO-Bildungsinstitute unterstützen weltweit Projekte, im Netzwerk der UNESCO-Projektschulen arbeiten rund 8 000 Bildungseinrichtungen mit. Die UNESCO koordiniert die UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (2005 bis 2014) und die UN-Dekade der Alphabetisierung (2003 bis 2012).
Wissenschaft
Die UNESCO fördert die Kooperation in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften - dem zweiten Pfeiler der Arbeit der Weltorganisation. Das Programmspektrum reicht von Meereskunde über Biosphärenreservate bis zu Menschenrechten, Ethik und Philosophie. Die UNESCO setzt globale Standards in der Bioethik, bei den Grundrechten und beim Umweltschutz. Sie unterstützt den Aufbau von Forschungseinrichtungen in Entwicklungsländern.
Information
Die UNESCO unterstützt den Zugang zu Information und Wissen - ihrem vierten Tätigkeitsbereich. Sie fördert die Informationstechnologie, um die »digitale Kluft« zwischen armen und reichen Ländern zu überwinden. Mit dem Aufbau unabhängiger Medien in Entwicklungsländern trägt sie zu einer vielfältigen Presse bei. Das Programm »Information für alle« unterstützt den internationalen Datenaustausch, »Memory of the World« fördert den Erhalt einzigartiger Dokumente.
Kultur
Die UNESCO ist die einzige UN-Organisation mit einem Mandat für Kultur. Mit ihren Programmen auf diesem dritten Feld schützt sie das kulturelle Erbe, bewahrt die kulturelle Vielfalt und fördert den Dialog zwischen den Kulturen. Den völkerrechtlichen Rahmen bilden die Übereinkommen zum Schutz der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes und das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes.
Chronik
1945. Am 16. November unterzeichnen in London 37 Staaten die Verfassung der UNESCO.
1946. Die Vorbereitende Kommission zieht von London nach Paris. Das Londoner UNESCO-Büro wird im April 1947 geschlossen.
Mit der Hinterlegung der 20. Ratifizierungsurkunde durch Griechenland tritt die Verfassung der UNESCO am 4. November - dem offiziellen Gründungstag der Organisation - in Kraft.
1953. Vertreter von 33 Schulen aus 15 Staaten starten auf einer Tagung im November in Paris das ein Jahr zuvor beschlossene UNESCO-Schulprojekt. Heute bestehen weltweit etwa 7500 UNESCO-Schulen in fast allen Mitgliedsstaaten.
1967. Vier Alphabetisierungspilotprojekte für Algerien, Ecuador, Iran und Mali werden gemeinsam mit dem Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) begonnen.
1972. Die 17. Generalkonferenz verabschiedet das »Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt« (Welterbekonvention), das 1975 in Kraft tritt.
Am 21. November billigt die Generalkonferenz den Beitrittsantrag der DDR, die drei Tage später 130. Mitgliedsstaat wird. Die UNESCO ist die erste UNO-Sonderorganisation, der die DDR angehört.
1976. Im Rahmen des Programms »Der Mensch und die Biosphäre« werden die ersten 57 Biosphärenreservate anerkannt.
1980. Das Internationale Programm zur Entwicklung der Kommunikation (IPDC) wird gestartet.
1983. Die Reagan-Administration veranlasst den Austritt der USA zum 31. Dezember.
1990. In einer Deklaration »Bildung für alle« werden ein erweiterter Begriff der Grundbildung und langfristige Ziele weltweiter Bildungspolitik formuliert.
1993. Erster UNESCO-Lehrstuhl in Deutschland.
1996. Erstmals wird am 23. März der Welttag des Buches begangen.
2001. Internationales Jahr »Dialog zwischen den Kulturen«. Die UNESCO übernimmt die Federführung.
2003. Weltdekade der Alphabetisierung (2003-2012). Die UNESCO wird mit der Koordinierung beauftragt.
2009. Die 35. Generalkonferenz wählt am 15. Oktober Irina Bokova zur UNESCO-Generaldirektorin. Zum ersten Mal in der Geschichte übernimmt eine Frau die Leitung der Organisation. (nd)
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