Wie giftig darf es sein?

EU-weiter Test: Hersteller und Händler informieren schlecht über gefährliche Chemikalien

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Verbraucher in Europa müssen auf Nachfrage von Herstellern über gefährliche Stoffe in Produkten informiert werden, theoretisch. Die Praxis sieht anders aus. Die EU-Kommission will handeln - in knapp zehn Jahren.

Europas Verbraucherschützer sind wütend: Wieder einmal wird ein Verbraucherrecht mit Füßen getreten. Wieder einmal ist die Industrie schuld. Und wieder einmal ist es eigentlich ein Skandal, was passiert. Doch wirkungsvoll dagegen vorgehen, das können die Anwälte von knapp einer halben Milliarde Kunden in Europa nicht.

Worum es geht? Um Chemikalien. Um diejenigen, die gefährlich sind. Die Einfluss auf den menschlichen Hormonhaushalt haben, die Gesundheit schädigen, zum Beispiel Allergien und Krebs auslösen können. Nicht nur über Lebensmittel können sie Schäden anrichten. Auch viele Sonnencremes zum Beispiel enthalten künstliche Stoffe, über deren Wirkung im Körper die Wissenschaft noch nichts Genaues weiß. In Babyfläschchen, Haarwaschmitteln, Teppichböden oder Kleidung sind oft Chemikalien enthalten, die den Organismus beeinflussen.

Die EU weiß um die Gefahren, die von Chemikalien ausgehen können. Deshalb hatte sie 2006 beschlossen, in einer Behörde Informationen über alle Chemikalien zu sammeln, die man in Europa kennt und die in der Industrie verwendet werden. Gleichzeitig schrieben die EU-Politiker in das Gesetz, dass jeder Verbraucher das Recht auf Auskunft hat. Jeder Kunde darf Händler oder den Hersteller eines Produkts fragen: Ist in dem Erzeugnis, das ich kaufe, ein gesundheitsgefährdender Stoff? Oder in der Verpackung?

Eine schöne Idee, die in der Praxis allerdings kaum funktioniert. Denn Mitarbeiter des Europäischen Verbraucherschutz-Dachverbands Beuc haben die Industrie getestet. In neun EU-Ländern, darunter auch in Deutschland, wurden Anfragen an jeweils 25 Hersteller oder Geschäfte geschickt, um Auskunft über gefährliche Stoffe in bestimmten Produkten zu erhalten. Laut EU-Gesetz hätten die Adressaten innerhalb von 45 Tagen kostenlos eine verständliche Antwort mit den gewünschten Informationen liefern müssen. Doch schon die Tatsache, dass überhaupt geantwortet wird, scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein. In keinem Land kamen innerhalb der 45 Tage Antworten von allen 25 Adressaten zurück. Am besten schneidet Schweden mit 21 Antworten ab, am schlechtesten Spanien mit sieben (Deutschland: 20). Die Zahl der Antworten, die alle Vorgaben des EU-Gesetzes erfüllen, liegt noch einmal deutlich darunter.

»Das muss unbedingt besser werden«, sagt Beuc-Generaldirektorin Monique Goyens. Beuc hat deshalb die Testergebnisse einer Reihe von Experten der EU vorgestellt. Ergebnis: »Die EU-Kommission weiß schon länger, dass das Recht auf Information in der Praxis kaum funktioniert«, berichtet nach dem Treffen Ophélie Spanneut, Pressesprecherin von Beuc, auf Anfrage. Getan habe die Kommission jedoch noch nichts. Dabei gehört es zu ihren Aufgaben, auf die Einhaltung der EU-Gesetze zu achten.

Allerdings hat die EU-Kommission bereits angekündigt, das gesamte Gesetz zur Meldung der Chemikalien ab nächstem Jahr auf seine Praxisfähigkeit zu prüfen. Für die Verbraucher jedoch kein wirklicher Trost. Denn mit dem »Recht auf Information« will sich die Kommission laut ihrem Terminplan erst 2020 beschäftigen.


REACH

Das Gesetz zur Erfassung und Überprüfung aller Chemikalien, die in der EU bekannt sind und verwendet werden, wird REACH genannt. Das ist die Abkürzung der englischen Bezeichnung Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals, zu deutsch etwa Erfassung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Diese Aufgabe übernimmt die Europäische Chemikalien-Agentur, eine in der finnischen Hauptstadt Helsinki arbeitende Behörde, die der EU-Kommission angegliedert ist. Bislang wurden über 100 000 Chemikalien dort gemeldet. Eine Liste der besonders gefährlichen Chemikalien ist bislang nicht veröffentlicht.
(kw)

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