Von Oakland zurück zur Wall Street?
Zwischen Polizeigewalt und ursprünglichem Thema
Was sich am Dienstagabend im kalifornischen Oakland ereignete, ist für den Fortgang er Occupy-Wall-Street-Bewegung nicht zu unterschätzen. Möglicherweise bedeuteten die massiven nächtlichen Polizeiübergriffe, die von Demonstranten live ins Internet gestellt wurden, sogar einen vorübergehenden Wendepunkt. Denn der 24-jährige Thomas Olsen wurde von einem Polizei-„Projektil“, wie es offiziell heisst, über dem rechten Auge so heftig getroffen, dass er einen Schädelbruch erlitt und im Krankenhaus stundenlang mit dem Leben rang. Möglicherweise wird er einen Gehirnschaden davontragen. Die Polizei von Oakland hatte nachts Gummigeschosse, mit Schrot gefüllte Nylonsäcke sowie Blend- und Tränengasgranten in die „Occupy“-Menschenmenge gefeuert, die sich vor dem Rathaus von Oakland versammelt hatte. Auf Youtube ist zu sehen, wie ein Polizist selbst dann noch in die Menge feuert, als längst klar ist, dass der Schwerverletzte von Freunden und Kollegen abtransportiert wird.
Peinlich für die Bürgermeisterin von Oakland Jean Quan: auf ihrer Facebook-Seite hatte sie während der polizeilichen Übergriffe ein Bild von sich während irgendeiner Politfeier im fern abgelegenen Washington gepostet. Weshalb sie während der Räumung nicht anwesend war, ist Gegenstand von Spekulationen. Politische Unterschätzung von „Occupy Wall Street“? Ignoranz? „Völliges Unwissen“ heisst es dagegen überraschenderweise in der Gerüchteküche. Denn in einigen anderen Orten der USA wurde diese Woche die Repressionsschraube gegen „Occupy“-Camp ebenfalls angezogen, wenn auch nicht so hart wie in Oakland. Weshalb machen – so wird in der Gerüchteküche gefragt - Bürgermeister, die politisch durch eine Annäherung an OWS gewinnen, zumindest nicht verlieren können, den Fehler, brutal zuzuschlagen? Vielleicht entscheiden sie gar nicht, sondern werden im Unklaren gelassen, lautet die spekulative Antwort von Atlanta bis New York. Die Vermutung: die Bundesbehörden stecken dahinter, konkret: das „Department of Homeland Security“, das die Bundespolizei FBI und die einzelstaatlichen Polizeien befehligen kann – unter der Hand natürlich, ohne in der Öffentlichkeit bekannten Befehl.
Jüngste Nachricht von Scott Olsen aus dem Krankenhaus in Oakland: Ärzte bestätigen den von der Polizei zugefügten Schädelbruch. Nach einem ärztlich Koma kann er seine Umwelt wieder wahrnehmen. Er hat allerdings Probleme, sich mitzuteilen.
Von mehreren Dutzend Occupy-Wall-Street-Lagern in den USA gingen heute Solidaritätsdemonstrationen für den Irakkriegsveteranen aus. Gleichzeitig diskutierten die autonomen städtischen Vollversammlungen das brennendste interne Thema: welche Schritte sind nötig, um vom Thema staatliche Repression und polizeilicher Brutalität nicht aufgerieben zu werden und sich wieder dem eigentlichen Problem zuwenden zu können: Wall Street, Banken, Verschuldung, Arbeitslosigkeit, Studienkredite, soziale Ungleichheit, Verelendung?
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