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Retten pflanzliche Riesengarnelen die Welt?
Nicht sie alleine! Ein linkes Plädoyer für einen veganen Lebensstil bei Verzicht auf Moralismus und Idiotismus
Der nette und erlebnisreiche Tag klang in einem Restaurant in der Nähe des Bochumer Schauspielhauses aus. Drei linke Männer nicht mehr ganz jungen Alters wollten ihren über viele Stunden angestauten Hunger stillen. Einer von ihnen, nämlich der Autor dieser Zeilen, suchte auf der Speisekarte ein Gericht, das keinerlei tierische Bestandteile enthält. Kein Fleisch, keinen Fisch – das sowieso nicht, schon seit über 20 Jahren. Aber auch keine Milch, keine Sahne, keinen Käse, keine Eier, keine Wolle...
»...er ist nämlich Veganer!«, teilte Mitesser M. dem verdutzten Kellner mit, der diese Information verarbeitete, indem er mich halb prüfend, halb vorwurfsvoll ansah. Hätte ich doch einfach meinen Salat mit Balsamico-Beeren-Dressing bestellen können, so dezent wie immer, ohne in die Rolle des Mister Extrawurst zu rutschen! Da fragte mich Sitznachbar A. auch schon: »Veganer – warum machst Du eigentlich so`n irres Zeugs?«
Der Mythos vom Belehren und Bekehren
Nun verhält es sich, allen anders lautenden Gerüchten zum Trotze, so: Die meisten vegetarisch und vegan lebenden Menschen sind überhaupt nicht darauf erpicht, ihre Mitbürger permanent zu belehren und zu bekehren – schon gar nicht auf Zuruf. Und viele von ihnen definieren sich nicht einmal über ihre Lebensmittel (»Ich bin Veganer!«), weil sie es viel bedeutsamer finden, wenn sie Gewichtheber, Sozialist oder – wie der stets vegetarisch essende Schauspieler Dirk Bach: – Träger des Gilden-Kölsch-Preises sind.
Was mich betrifft, so gebe ich, freundlich befragt, gerne Ratschläge, wie man sich gut, lecker und preisbewusst ernährt, ohne dafür Tiere quälen, melken, töten und das Klima kaputt rülpsen zu lassen. Auch mutiere ich keineswegs zum Wüterich, wenn sich jemand nur gelegentlich »anders« ernähren und ansonsten Allesfresser bleiben will. Allem Anfang wohnt ein Blaubär inne, wie der Dichter sagt.
Aber Agitation? Dafür bin ich zu faul. Daher auch diese Kolumne – auf die ich in der nächsten hochnotpeinlichen Fragerunde höflich verweisen werde, um dann das Gespräch auf das erbaulichere Thema BVB zu lenken.
Ernährung ist keine reine Privatsache
Jetzt also doch – Aaaaagitation: Die Frage, was auf den Teller kommt, ist hochpolitisch! Und zwar nicht nur für manische Tier-Freaks, sondern gerade auch für Linke, Klimaschützer, Internationalisten.
Falls es sich noch nicht herum gesprochen haben sollte: Der Klimawandel ist nicht der einzige, aber der mit Abstand wichtigste Grund für eine Revolution, die in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist: Wollen wir künftig gut leben, müssen wir völlig anders produzieren, transportieren, aber auch konsumieren. Das Ziel: Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur muss auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt werden.
Der Ansatz, den das maßgebliche Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) verfolgt, ist radikal egalitär: Jeder Erdenbewohner soll das gleiche Recht haben, die Umwelt begrenzt zu nutzen und zu verschmutzen. Aus linker Sicht kann man dieses Ansinnen kaum in Frage stellen.
Vegane Ernährung: Um den Faktor 15 klimafreundlicher
Was folgt daraus? Deutschland müsste seinen Treibhausgasausstoß um 90 Prozent senken – binnen weniger Jahrzehnte. Alles, aber auch wirklich alles gehört auf den Prüfstand. Auch die Ernährung. Ein Problem: Weltweit 1,4 Milliarden Rinder erzeugen, indem sie Gras verdauen, das Treibhausgas Methan. Das ist weitaus klimaschädlicher als Kohlendioxid – um den Faktor 25. Kurzum: Sie rülpsen das Klima kaputt. Dabei ist es ziemlich egal, ob es sich um Milchkühe oder potenzielle Kälberbraten handelt.
Der Verbraucherschutzverband »foodwatch« hat ausrechnen lassen: Ökolandbau ist ein Gewinn für den Klimaschutz. Aber auch der Verbrauch von Fleisch- und Milchprodukten müsse zurück gehen. Das ist, wenn man sich die konkreten Zahlen anschaut, eine milde Forderung.
»Foodwatch« vergleicht nämlich unterschiedliche Ernährungsstile und setzt ihren jeweiligen Klimaschaden in Relation zu demjenigen eines bayrischen Luxuswagens. Ein Fleischesser belastet seine Klimabilanz demnach mit 4758 »BMW-Kilometern« pro Jahr; sofern er wenigstens kein Rindfleisch isst, mit 4209. Biofleisch ist keine wirklich gute Alternative: 4377 »Kilometer« schlagen hier zu Buche.
Eine Ernährung ohne Fleisch, aber mit Milch und Eiern, entspricht 2427 (konventioneller Anbau) respektive 1978 »Kilometern« (bio). Doch, pardauz: Der Veganer kommt auf lediglich 629, die Ökoveganerin gar nur auf 281 Kilometer. Der größte Klimasünder, resümiert »Foodwatch«, sei der Bio-Rindfleisch-Esser.
Alternative: Futtertrog oder Teller
Oft tönt es von links her: Laut Welternährungsorganisation FAO könnten 12 Milliarden Menschen genährt werden durch die Lebensmittel, die wir weltweit produzieren. Alles sei eine Frage der Verteilung – respektive des Geldes. Haste nix, dann isste nix.
Das ist halb richtig. Doch wo landen diese Lebensmittel? Zum Teil auf den Wohlstandsmüllhalden, meist jedoch in den Futtertrögen. Die potenziellen Nahrungsmittel des Südens – teils werden sie sogar aus Hungerländern importiert – nähren das Schlachtvieh des Nordens. Was die Fleischindustrie als »Veredelung« bezeichnet, ist eine besonders unwirtschaftliche Form der Verschwendung. Mitunter wird der Überschuss des teils hochsubventionierten EU-Fleisches gen Süden gekarrt und überschwemmt und zerstört, konkurrenzlos billig, die dortigen Märkte.
Was tun? Die einfachste Lösung hieße: Der Fleischindustrie die rote Karte zeigen. Und wenn schon Nahrungsmittel aus dem Süden, dann solche aus fairem Handel. Immerhin, zwei erste Schritte...
Menschversuch »belegt«: Fleischverzicht ist unethisch!
Längst hat die Fleischindustrie erkannt, dass ihre Gewinne schmelzen, wenn zu viele Menschen auf den Verzehr toter Tiere »verzichten«. 2005 gab die National Cattlemen´s Beef Association, der Verband der us-amerikanischen Rinderfleischproduzenten also, eine Studie in Auftrag, die »belegte«, was sie belegen sollte: Vegetarische Ernährung sei»unethisch«. Dafür wurde eigens ein Menschversuch an 544 minderjährigen Kenianern beiderlei Geschlechts durchgeführt.
Den Probanden bot die Ernähunrgswissenschaftlerin Professor Lindsay H. Allen mal die ortsübliche (Mangel-)Ernährung an, also Mais und Bohnen, mal gab sie ein bisserl Pflanzenöl dazu; eine dritte Gruppe bekam eine Tasse Milch, eine vierte 60 Gramm Fleisch extra.
Das Ergebnis: Diejenigen Kinder, die nicht nur Mais und Bohnen aßen, waren kräftiger und klüger. Das galt insbesondere für die Fleischesser: »Die Gruppe, die die Fleischergänzung erhielt, war auf dem Spielplatz aktiver, beredsamer und verspielter und zeigte mehr Führungseigenschaften.«
Dass 60 Gramm Fleisch im Schnitt 12 Gramm Eiweiß enthalten und eine Tasse Milch immerhin gut drei Gramm Eiweiß enthält; dass null Fleisch und null Milch hingegen null (Mehr-)Eiweiß bedeuten; dass Eiweiß aber wichtig ist für Muskelaufbau und Hirnfunktion und ein Mangel daran zu Antriebsarmut führt – all das wussten Fachfrau und Fachwelt gewiss nicht vorab.
Kapitalismus: Billig statt vernünftig?
Vegan, bio, regional plus fairer Handel – man kann das im Großen und Ganzen hinbekommen, sofern man teure Fertigprodukte meidet, selber den Kochlöffel schwingt und nicht gerade auf Hartz-IV-Zwangs-Diät gesetzt ist. Längst wirft die Erwerbslosenbewegung die Frage auf: »Was hat Hartz IV mit der Lebensmittelproduktion zu tun?«
Die Antwort: Ein Erwachsener, der von Hartz IV oder Sozialhilfe lebt, hat derzeit nur 3,94 Euro täglich für seine Ernährung, Kinder deutlich weniger als drei Euro. Da bleibt nur der Weg zum Discounter, um die Ernährung über Billigstangebote zu sichern. Der Preiskrieg der Discounter und die daraus folgenden unfairen Wirtschaftsbeziehungen und elenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse werden umso härter, je geringer die unteren Einkommen ausfallen. Sinkende Einkommen und zu niedrige Hartz IV-Regelsätze sind das Schmiermittel, das einen Markt für Billigstprodukte am laufen halten.
So ist das wohl. Generell macht es einem der Kapitalismus nicht leicht, sich vernünftig zu ernähren. Schließlich lässt er nicht nur breite Bevölkerungsschichten verarmen, er mag auch keine Nischenmärkte, zeichnet sich aus durch die »Tendenz, den Weltmarkt zu schaffen« (Marx) und will partout nicht ergrünen.
Dennoch entsteht sukzessive eine vegane Infrastruktur: Fast jeder Bioladen verfügt heute über ein ansehnliches, mancher Supermarkt über ein rudimentäres Angebot typisch veganer Produkte wie Tofu, Soja-Milch oder allerlei Fleisch-»Ersatz«. Und natürlich haben sie alle eine Obst- und Gemüsetheke. Obst und Gemüse sind per definitionem vegan. Der selbstvermarktende (Öko-)Bauer ihres Vertrauens bietet sie auch in regionaler Variante an – so lassen sich lange Transportwege vermeiden.
Rein pflanzlich: »Tintenfischringe« und »Beef« an Zitronegras
Im Dortmunder »Vegilicious« gibt es wirklich alles, was irgendein ein Herz irgendwann begehren könnte: »Schweinefilet«, »Pfeffersteak«, »Entenbrust-Filet« und »Puten-Schnitzel« beispielsweise. Für die Freunde fischigen Geschmacks liegen auch »Lachsfilet am Stück«, »Scampis« und »Fischsteak«, ja sogar »Tintenfischringe« im Kühlregal.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: All das ist natürlich rein pflanzlich.
Schließlich befinden wir uns in Deutschlands allererstem veganen Supermarkt, der schnell Nachahmer in Berlin fand. Berlin wimmelt von entsprechenden Angeboten, unter anderem hat der Hauptstadt-Veganer die Wahl zwischen einem halben Dutzend Restaurants, in denen kein tierisches Produkt den Weg in die Pfanne findet.
In Köln gibt es immerhin ein rein veganes asiatisches Restaurant namens »Well Being« (bestellen Sie das »Beef« an Zitronengras!) und ein komplett lederfreies Schuhgeschäft, das mit einem kleinen veganen Lebensmittelladen assoziiert ist. Auch die Mensen der Unis Bochum und Düsseldorf bieten vegane Gerichte an. Und natürlich gibt es unzählige vegane Shops im World Wide Web.
In Bochum kann man gar die Mantaplatte in veganer Variante bestellen: Currywurst, Pommes, Majo! Ja, selbst die eifreie Majo im »Blondie`s« ist lecker. Doch Puristen seien gewarnt: Das Restaurant verbrät auch tote Tiere. In Portland, Oregon, USA lockt derweil ein veganer Stripclub nebst Restaurant-Betrieb. Fleisch, kalauert die »Süddeutsche Zeitung«, »Fleisch findet der Gast hier nur auf der Bühne«.
Tierschutz, nicht Tierrechte!
Und das Leid der Tiere? Es wäre ein hinreichender, ist aber kein notwendiger Grund für eine rein pflanzliche Ernährung. Ja, ich empfinde durchaus Mitleid mit Kühen, Schweinen und Hühnern. Als ich vor rund zehn Jahren einen Biobauernhof besichtigte, befand ich zwar, dass die Kühe dort auch nicht unglücklicher erschienen als ein schwäbischer Steuerberater. Aber nur so lange, bis der Schlachter kommt.
Eklig finde ich es auch, wenn männliche Küken en masse getötet werden, weil es in der Eierproduktion nun mal weniger Hähne als Hennen braucht. Von der Massentierhaltung ganz zu schweigen – deren Profiteure will ich im Knast sehen. Nach einem ordentlichen rechtsstaatlichen Verfahren.
Trotzdem: Wer in meiner Gegenwart von »Tier-KZs« spricht, kriegt echten Ärger mit mir. Die dümmste Parole, die mir je zu Gehör kam, lautet »Für die Befreiung von Pflanze, Mensch und Tier«. Und mit »Tierrechten« braucht mir auch niemand zu kommen – es sei denn, er kann mir eine Sau präsentieren, die ihre Ansprüche eigenmäulig vor dem Bundesverfassungsgericht einzuklagen vermag.
Bis dahin bin ich sicher: Wer Tier- als wären sie Menschenrechte fordert, der tut damit nichts Gutes für die tierschutzbedürftige Kreatur. Sondern legt die Axt an den Humanismus – indem er den fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Kakerlake einebnet.
... aber was kann man denn dann noch essen?
Stöhn! Beantworten wir endlich die letzten Fragen zum Thema: Kein Fleisch, keine Sahne, kein Käse... – aber was kann ich dann überhaupt noch essen? Einiges. Hauptsache es schmeckt und es kommt keine Langeweile auf. Und wo kriege ich meine Proteine her? Ich bevorzuge vegane Minisalamis und ebensolche Holzfäller-Hacksteaks. Linsen, Tofu, Bohnen und viele andere Nahrungsmittel tun es aber auch. Die »Riesengarnele« muss es aber nicht gerade sein.
Tofu? Auch wenn 62,5 Prozent aller »FAZ«-Redakteure ihn laut einer Umfrage selbst roh und ungewürzt als »okay« bis »lecker« empfinden, sollte man ihn recht ordentlich marinieren und scharf anbraten, sonst schmeckt er nämlich nach nix. Hast Du gehört, »Frankfurter Allgemeine«? Nach nix. Nach gar nix! Das gilt auch für Soja-Chunks.
Was schmiere ich mir aufs Brot? Delikate Feinkost-Pasteten, manchmal zusammen mit Qualitäts-Magarine. Ich mag auch eine bestimmte Schoko-Nuss-Creme. Oder Kirsch-Marmelade (ohne Gelatine). Aber sehe ich nicht trotz allem arg wohlgenährt aus, während Veganer doch sonst immer – immer! – so hager wirken? Jawohl, denn mein liebstes Küchenutensil ist die Bratpfanne, allein schon deshalb, weil ich manischer Anhänger des Allium Sativum bin.
Bedräuen mich nach anderthalb Jahren wenigstens erste ernsthafte Erkrankungen? Nein, denn ich werfe täglich meine VEG1-Pille ein, die insbesondere den ansonsten drohenden Vitamin-B12-Mangel verhindert. Runter spüle ich sie mit einer Calzium-Brause. Lecker schmeckt anders. Egal!
Kein Wohlstandsproblem verwöhnter Gören
Vor einiger Zeit wurde ich bei Bekannten bewirtet. Die Dame des Hauses hatte sie sich eigens ein veganes Kochbuch zugelegt und bei dieser Gelegenheit ein Schwätzchen mit der Buchhändlerin gehalten. Die stellte vegane Ernährung als einen Mix aus Essstörung und gleichsam naturgesetzlichem Durchgangsstadium von Mädchen dar, die gerade die Pubertät haben.
In der Buchhandlung Rat suchende Mütter seien zunächst trostbedürftig. Und würden dann allesamt besagtes Kochbuch kaufen, das übrigens sehr zu empfehlen sei...
Ich aber sage Euch: Die Buchhändlerin irrt. Vegan zu leben ist nicht bloß das Vergnügen verirrter Wohlstandsgören. Es ist schlicht rational – und so bin auch ich, jedenfalls manchmal.
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