Mit Felix Krull durch Lissabon
Auf den Spuren von Thomas Manns Romanfigur am Tejo
»Gemischt war schon die Urbevölkerung, Iberer, wie Sie natürlich wissen, mit keltischem Einschlag. Aber im Verlauf von zweitausend Jahren haben Phönizier, Karthager, Römer, Vandalen, Sueven und Westgoten, dazu besonders die Araber, die Mauren mitgearbeitet, den Typ zu schaffen, der Sie erwartet, - einen netten Zuschuss von Negerblut nicht zu vergessen, von den vielen schwarzhäutigen Sklaven her, die eingeführt wurden zu der Zeit, als man die ganze afrikanische Küste besaß.« Mit diesen Worten beschreibt Professor Kuckuck seinem Mitreisenden Marquis Venosta alias Felix Krull auf der Bahnfahrt nach Lissabon die Portugiesen.
In Thomas Manns weltberühmten aber unvollendet gebliebenen Roman »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« spielt die portugiesische Hauptstadt eine wichtige Rolle. Obwohl der Dichter selbst nie das Land an der Südwestecke Europas besucht hatte, wecken seine Milieuschilderungen und Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten Lissabons auch heute noch die Neugierde des Lesers und laden ein zum Wandeln auf den Spuren seines Romanhelden.
Schon 1910 hatte Thomas Mann den Plan zu seinem späteren Meisterwerk gefasst, und bis 1913 schrieb er daran. Dann aber ließ er das Fragment 40 Jahre ruhen. Erst zwischen 1951 und 1953 entstanden unter der kalifornischen Sonne von Pacific Palisades, Thomas Manns Exilort, die Lissabon-Kapitel.
Felix Krull, der intelligente Betrüger erlebt in dem Roman Lissabons Prachtstraße Avenida da Liberdade so, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts ausgesehen haben muss, mit einer belebten mehrspurigen Fahrbahn in der Mitte und einer - heute nicht mehr vorhandenen - Reitbahn. An beiden Seiten flankierten die Straße großzügige Grünanlagen mit üppiger subtropischer Vegetation, kleinen Springbrunnen und Teichen, denen sich schmale Parallelstraßen anschlossen. An der Avenida, die sich vom Verkehr umtosten Platzes Praça Marquès de Pombal - benannt nach dem Mann, der Lissabon nach dem schweren Erdbeben von 1755 wieder aufgebaut hat - bis zum Praça dos Restauradores erstreckt, kann man noch heute zahlreiche historische Bauwerke, aber auch viele moderne Bauten sehen, die sich nicht immer harmonisch in das Gesamtbild einfügen. Am besten gelang es noch dort, wo Bestehendes aufwendig restauriert oder wenigstens die alten Fassaden stehen gelassen wurden, hinter denen sich nun moderne Bürowelten verbergen. Felix Krulls Hotel »Savoy Palace« existiert nicht mehr. Der Beschreibung Thomas Manns entspricht wohl am meisten das altehrwürdige Hotel »Tivoli« an der Avenida da Liberdade.
Während seines Aufenthaltes in Lissabon besuchte Felix Krull auch die berühmtesten Plätze der portugiesischen Hauptstadt, wie den Praça do Comércio. Er ist zwar heute nicht mehr ganz so ruhig, wie in dem Roman beschrieben, aber die an den drei bebauten Seiten befindlichen Arkadengänge spenden in sommerlicher Hitze noch immer schattigen Schutz. Auch die Hauptpost existiert noch. An der dem Fluss zugewandten Seite des Platzes sind Anlegestellen für die Fährschiffe, die den hier Kilometer breiten Fluss Tejo (Thomas Mann verwendet die spanische Bezeichnung »Tajo«) in Richtung Süden überqueren.
Die Rua Augusta, die am Praça do Comércio mit einem imposanten Triumphbogen beginnt, ist auch heute noch »eine der schmucksten Straßen der Stadt«, wie Felix Krull fand. Die Fußgängerzone lädt heute wie damals zum Ladenbummel oder zum Verweilen in einem der vielen Straßenrestaurants ein, von wo aus man fliegende Händler, Straßenkünstler beobachten und »Leute gucken« kann.
Der bekannteste Platz der Stadt liegt am anderen Ende der Rua Augusta. Hier haben 1974 die Blumenhändlerinnen den jungen Soldaten, die die älteste Diktatur Europas hinweggefegt hatten, Nelken in die Gewehrläufe gesteckt. So entstand die Bezeichnung Nelkenrevolution. Noch immer werden hier auf dem Platz Blumen verkauft. Am Rossio, mit »seinem in sonderbaren Wellenlinien dahingehenden Mosaikpflaster« (Felix Krull), haben sich Cafés, wie das »Café Suiça«, gehalten, in denen schon Thomas Mann seinen Romanhelden verweilen ließ.
Von der Rua Castilho, im Roman Professor Kuckucks Wohnort, ist es nur ein kurzer Spaziergang zu einer weiteren Sehenswürdigkeit, dem »Jardim Botânico« (Botanischer Garten). »Er hat in ganz Europa nicht seinesgleichen dank einem Klima, worin die tropische Flora ebenso gedeiht, wie die der mittleren Zone. Von Araukarien, Bambus, Papyros, Yuccas und jeder Art Palmen strotzt der Garten«, heißt es bei Thomas Mann, um dann auch auf Pflanzen zu verweisen, »die eigentlich gar nicht der gegenwärtigen Vegetation unseres Planeten angehören, sondern einer früheren, nämlich Farnbäume«. Gleich neben dem Botanischen Garten, in der Rua da Escola Politécnica, ist das Naturkundemuseum, das im Roman als Arbeitsstätte Professor Kuckucks noch in der Rua Prata in der Unterstadt Baixa angesiedelt ist.
Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Jerónimos-Kloster im Stadtteil Belém (Bethlehem), das zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, bildet die Kulisse für eine der bemerkenswertesten Passagen in Thomas Manns Roman. Im Kreuzgang des im Manuelinischen Stil erbauten Gebäudes lässt der Dichter seinen Helden im Gespräch mit Zouzou, der Tochter von Professor Kuckuck, über die Liebe, das Leben und die Kunst philosophieren. Die »Zauberzierlichkeit des Kreuzganges von Kloster Belem«, so wird das historische Bauwerk im Buch beschrieben, »mit seinen Spitztürmchen und fein-feinen Pfeilerchen in den Bogennischen, seiner gleichsam von Engelshänden aus mild palinierten weißen Sandstein geschnitzten Märchenpracht« zieht auch heute noch jährlich zehntausende Besucher an.
Im letzten, ebenfalls im kalifornischen Exil geschriebenen Kapitel des »Felix Krull«, lässt Thomas Mann seinen Romanhelden einen Stierkampf in der im maurischen Stil aus roten Klinkern erbauten Arena am Campo Pequeno erleben. Die in den letzten Jahren komplett restaurierte und umgestaltete Anlage, die nun im Untergrund ein großes Einkaufszentrum hat, gilt als ein Hauptanziehungspunkt für die Lissaboner. Hier finden zahlreiche Events und in den Sommermonaten donnerstags auch noch immer Stierkämpfe statt. Sie sind heute nicht mehr so blutig, wie bei Thomas Mann beschrieben, denn seit 1933 dürfen die Tiere nicht mehr in der Arena getötet werden. Thomas Mann bezog sein Wissen über das blutige Spektakel aus einer Reise, die er 1923 nach Spanien unternommen hatte und wo er in Sevilla auch einen Stierkampf sah.
Ursprünglich, so sahen es die Pläne des Dichters vor, sollte Felix Krull von Lissabon aus eine Weltreise antreten. Doch dazu kam Thomas Mann nicht mehr. Der Literaturnobelpreisträger starb am 12. August 1955 in seiner Wahlheimat Zürich und mit ihm sein Hochstapler Felix Krull.
● Infos: Portugiesisches Fremdenverkehrsamt, Zimmerstr. 56, 10117 Berlin, Tel.: (030) 254 10 60, www.visitlisboa.com; www.visitportugal.com
● Reiseführer: Annette Hüller »Lissabon«, Marco Polo, Verlag Mairdumont ISBN: 9783829704755, 9,95 €
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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