- Politik
- Fragwürdig
Studiengebühren gerecht?
Oliver Iost über die Sozialverträglichkeit der Uni-Maut / Iost ist Herausgeber des Internet-Portals studis-online.de
ND: Das Wissenschaftszentrum Berlin hat eine Studie veröffentlicht, die einige so lesen, als wäre nun belegt, dass Studiengebühren sozialverträglich sind. Sie sehen das nicht so. Warum?
Iost: Die Forscher wollten herausfinden, wie sich Studiengebühren auf die Studierneigung auswirken. Dabei haben sie keine eigenen Daten erhoben, sondern auf die Daten des Studienberechtigtenpanels des Hochschul-Informations-System (HIS) zurückgegriffen. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Studierneigung insgesamt gestiegen sei und zwar in Bundesländern mit Studiengebühren sogar leicht stärker als in denen ohne. Das hat sie selbst überrascht und sie suchten eine Erklärung. Diese meinen sie darin gefunden zu haben, dass in den Ländern mit Studiengebühren auch die Erwartung an den »Gewinn« durch ein Studium stärker gestiegen sei. Das sagt aber noch gar nichts über die sogenannte Sozialverträglichkeit der Gebühren aus.
Wieso denn das?
Selbst wenn man annehmen würde, dass die Zusammenhänge so sind, wie die Studienautoren es darstellen, führen Studiengebühren doch zu unterschiedlichen Chancen. Entweder es wird zu ihrer Finanzierung während des Studiums mehr gejobbt - was zu Studienzeitverlängerung oder wegen zeitlicher Belastung zu schlechteren Ergebnissen im Studium führen kann -, oder es wird ein Darlehen aufgenommen - was zu Schulden führt, die nach dem Studium zurückzuzahlen sind. Wer die Gebühren dagegen von den Eltern oder anderen bezahlt bekommt, spart sich beides, kann also entspannter studieren und ohne Schulden ins Berufsleben starten.
Dennoch stimmt der Befund, dass in Ländern mit der Uni-Maut die Studierneigung gestiegen ist.
Das schon, aber die Studie geht von einer falschen Grundannahme aus. Führen wirklich Studiengebühren dazu, dass dem Studium ein höherer Wert zugemessen wird? Oder ist die Studierneigung in den Ländern mit Studiengebühren aus anderen Gründen gestiegen, beispielsweise deswegen, weil sich die Situation am Arbeitsmarkt zuspitzt hat? Oder vielleicht, weil es seitens der Politik eine Debatte gibt, wie wichtig ein Studium heutzutage sei? In diesen Fällen könnte eine mögliche negative Wirkung der Studiengebühren durch die positiven Effekte der erwarteten Erträge überlagert sein.
Und das wird in der Studie ausgeblendet?
Nein. Dankenswerter Weise haben auch die Studienautoren selbst darauf hingewiesen, dass die Studie nicht so zu verstehen sei, dass beliebig hohe Studiengebühren keine Effekte haben würden. Ich würde es sogar so sehen, dass weder diese Studie noch andere, die es vorher gab, tatsächlich reine Effekte von Studiengebühren messen konnten, sondern dass alle festgestellten Wirkungen auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sind, die sich praktisch nicht auseinander halten lassen. Kurzum: Die Studie belegt in keiner Weise, dass Studiengebühren nicht vom Studium abschrecken.
Wenn aber nun doch?
Wie gesagt: Davon ist nicht auszugehen. Selbst wenn, gibt es aber genügend andere Gründe, Studiengebühren abzulehnen. An erster Stelle steht: Bildung ist ein Menschenrecht und keine Ware - und darf daher nicht vom Geldbeutel abhängen.
Fragen: Jens Wernicke
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.