Hamlet in der sozialistischen Traumfabrik Babelsberg
Notizen von der Internationalen Fachtagung zur DEFA-Geschichte
Wer sich ein umfassendes Bild vom aktuellen Stand der DEFA-Forschung machen wollte, war am vergangenen Wochenende in der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« gut aufgehoben. Auf einer internationalen Fachtagung, die von der Hochschule gemeinsam mit der DEFA Film Library an der Universität Amherst/Massachusetts und der DEFA-Stiftung organisiert worden war, stellten Wissenschaftler aus acht Ländern die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor. Zentrales Thema waren »Transnationale Filmbeziehungen der DEFA vor und nach dem Mauerbau«: ein Fokus, der spannende Einblicke in die Arbeit der »sozialistischen Traumfabrik«, das Wechselspiel zwischen Welthaltigkeit und Provinzialität, ästhetischen Traditionalismus und Innovation ermöglichte.
Die Mehrzahl der DEFA-Forscher kam aus den USA. Das mag auf den ersten Blick verwundern, lässt sich aber dadurch erklären, dass sich Amherst seit Ende der 1990er Jahre als aktives Zentrum der Auseinandersetzung mit dem DDR-Kino etabliert hat, mit Strahlkraft auf zahlreiche Universitäten in Nordamerika. Inzwischen stehen dort rund hundert englisch untertitelte DEFA-Filme für Forschung und Lehre zur Verfügung, die von Germanisten, Politologen, Historikern und Gender-Forschern ausgewertet werden. Zwischen Houston und Toronto ist der Output an DEFA-Aufsätzen erstaunlich groß; deutsche Lehreinrichtungen, an denen der DEFA-Film noch 22 Jahre nach dem Mauerfall als Terra incognita gilt, können sich davon eine Scheibe abschneiden.
Was war in Potsdam zu hören? Larson Powell aus Kansas City wies auf das Hamlet-Syndrom hin, das den DEFA-Film über alle Phasen seiner Entwicklung begleitet habe: Er konstatierte einen nahezu besessenen Umgang mit dem Geist der Vätergeneration. Seán Allen (Warwick) untersuchte kosmopolitische Fiktionen, vor allem in Bezug auf die Humboldt-Filme der DEFA von Karl Gass (1960) bis Rainer Simon (1989). Sabine Hake (Austin/Texas) widmete sich einem Vergleich zwischen Slatan Dudows in der DDR gedrehtem »Hauptmann von Köln« (1956) und Wolfgang Staudtes westdeutschem Film »Rosen für den Staatsanwalt« (1959), beides Satiren über das Fortbestehen des braunen Ungeistes in der Bundesrepublik. Anhand zahlreicher Filmfotos wies sie eine erstaunliche Übereinstimmung von Motiven und Perspektiven nach. Für ein heiteres Intermezzo sorgte Daniela Berghahn (London), die über die Rezeption des »Singenden, klingenden Bäumchens« (1957) in Großbritannien referierte. Der Film, der in den 1960er Jahren im BBC-Kinderfernsehen ausgestrahlt wurde, hat sich als »Gruselmärchen« in der Erinnerung vieler Zuschauer festgesetzt; auf Youtube gibt es jetzt eine Parodie, die das Original an Witz um Längen schlägt.
Dass die DEFA in bestimmten Phasen ihrer Geschichte mehr sein wollte als nur ein nationales Filmstudio, dass sie ein gesamtdeutsches, ja internationales Prestige anstrebte, belegten Vorträge über Filmbeziehungen zu Schweden, Frankreich, Italien, Indien, die Tschechoslowakei. Robert A. Shandley (Texas) beobachtete eine Wiederkehr von Western-Motiven in Babelsberger Filmen; Burkhard Olschowsky (Warschau) interessierte sich für die politisch brisante Rezeption von Frank Beyers »Aufenthalt« in Polen. Zu hören waren Texte über Kino-Neubauten in der DDR, über Kriterien für die Auswahl westlicher Importfilme oder über Ost-Besucher von Grenzkinos im geteilten Berlin vor 1961. Der Regisseur Dietmar Hochmuth stellte Auszüge aus seinem Projekt »Z« vor: Gespräche mit DEFA-Mitarbeitern zum Unwort »Zensur«, die demnächst zu einem Film verdichtet oder auf einem Webportal veröffentlicht werden. Alle Vorträge der Tagung sollen bald in einem Buch nachzulesen sein.
Die abwechslungsreiche und unterhaltsame Debatte trägt dazu bei, dass die DEFA-Forschung neuen Schwung bekommt. Medienwissenschaftler der Potsdamer Filmhochschule wollen sich, wie zu hören war, verstärkt in diesen Diskurs einbringen und sich gerade auch um Leerstellen kümmern. Völlig unerforscht ist bisher die Filmkritik der DDR; auch die deutsch-deutschen filmischen Parallelentwicklungen bedürfen noch einer gründlichen Analyse. Dass der DEFA-Film künftig nicht nur aus der Binnenperspektive der DDR, sondern als Teil des europäischen Kinos mit Bezügen nach Ost und West gesehen werden muss, steht jedenfalls außer Frage.
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