• Politik
  • Tagesthema: Rechte Gewalt

»Was die Regierung tut, ist unglaublich«

Kenan Kolat über die Unterschätzung rechten Gedankenguts und die mangelnde Anteilnahme der Bundeskanzlerin

  • Lesedauer: 4 Min.
Januar 1998: Kurz vor ihrem Abtauchen demonstrierten die drei NSU-Mitglieder in Dresden. In der Mitte hinten mit Mütze Uwe Böhnhardt, daneben Beate Zschäpe, ganz rechts Uwe Mundlos.
Januar 1998: Kurz vor ihrem Abtauchen demonstrierten die drei NSU-Mitglieder in Dresden. In der Mitte hinten mit Mütze Uwe Böhnhardt, daneben Beate Zschäpe, ganz rechts Uwe Mundlos.

ND: Sind die von Neonazis verübten Morde Einzelfälle, begangen von Einzeltätern?
Kolat: Nein. Rechtsterrorismus ist kein singuläres Problem. In Deutschland haben wir ständig Rassismus gehabt. Die Taten gehören in die Reihe der terroristischen und rassistischen Angriffe von Solingen, Rostock, Mölln und Hoyerswerda.

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime sagte gestern, dass der Rechtsterrorismus hierzulande »chronisch unterschätzt« werde. Würden Sie dem zustimmen?
Das ist richtig. Es gibt diesen nationalen Ruck auch in der Gesellschaft. Das hat man zuletzt daran gesehen, dass die Sarrazin-Debatte eine große Unterstützung in der Bevölkerung erfuhr. Ich möchte, dass endlich verstanden wird, dass wir einen zunehmenden Rassismus haben, der jetzt in Gewalt umgeschlagen ist, in einer schrecklichen Form. Die Unterschätzung rechten Gedankengutes muss ein Ende haben. Der Rassismus in Deutschland wurde immer wieder kleingeredet. Als ich das einmal an die Öffentlichkeit bringen wollte, wurde ich auch von Teilen der Bevölkerung und von einigen Politikern beschimpft. Doch ich hatte leider Recht.

Wie erklären Sie sich, dass die Behörden angeblich über Jahre hinweg keine Ahnung hatten?
Ich kann das nicht erklären. Aber natürlich werden in der türkischen Bevölkerung jetzt Fragen gestellt. Wie kann so etwas passieren und die Täterschaft über Jahre unbemerkt bleiben?

Schenkte der Staat »Linksextremisten«, die sich gegen Neonazis engagieren, mehr Beachtung?
Ich vermisse einen Aufschrei. Ich möchte auch sehr hart die Kanzlerin kritisieren, die sagt, sie möchte dem Fall nachgehen. Das ist alles richtig. Aber wo ist ihr Beileid mit den Betroffenen? Wo sind die Opfer? Man spricht von den »Döner-Morden«. Es wurden aber nicht »Döner« ermordet, sondern Menschen.

Schwingt in den Medien Rassismus mit, wenn von so genannten »Döner-Morden« die Rede ist?
Ich erwarte, dass die Getöteten mit Namen genannt werden. Das sind türkischstämmige, griechischstämmige Menschen, die Opfer rassistischer Gewalt geworden sind. Es kann nicht sein, dass weiter von »Döner-Morden« gesprochen wird. Was die Bundesregierung in diesem Moment macht, ist unglaublich: Wo ist die Anteilnahme der Bundeskanzlerin an den Opfern? Hat sie die mal zu sich eingeladen, hat sie die mal besucht? Wieso macht sie so einen Besuch nicht? Von der politischen Führung unseres Landes erwarte ich, dass sie bei den Opfern sein muss. Und sie muss unbedingt die Hinterbliebenen besuchen. Das ist das Mindeste. Immer wenn ein Übergriff auf Migranten stattfindet, wird sofort ausgeschlossen, dass ein rassistischer Vorfall vorliegt. Woher weiß man das von vornherein? Das hat man sogar bei Mölln und Solingen am Anfang gesagt. Die staatlichen Behörden sagen immer vorweg: »Es handelt sich nicht um einen rassistischen Hintergrund.« Solche Äußerungen sollte man unterlassen.

Ehrhart Körting, der Berliner Innensenator, erinnerte gestern daran, dass die Bundesregierung die Programme gegen Rechtsextremismus finanziell kürzte. Was halten Sie davon?
Ich teile seine Meinung. Es ist nicht mal eine Woche her, da hat der Haushaltsausschuss des Bundestags die Mittel für die Bundes-Antidiskriminierungsstelle gekürzt. Und jetzt sagt die Bundesregierung, sie wolle den Kampf aufnehmen. Das ist unglaubwürdig.

Jetzt ist davon die Rede, dass das NPD-Verbotsverfahren neu aufgerollt werden soll.
Ich bin schon immer für ein Verbot gewesen. Aber es muss geforscht werden, ob Populismus à la Sarrazin auch seinen Beitrag leistet. Hier zeigt sich, dass wir einen Rechtspopulismus haben, der zum Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus übergehen kann.

Sie wollen, dass präziser benannt wird, um welche Art Terrorismus es hier geht?
Fortwährend wird von »jeglicher Art von Extremismus« gesprochen. Es geht aber nicht um »jegliche Art von Extremismus«, sondern um Rechtsextremismus, um Rassismus. Man muss gegen jeglichen Terrorismus sein, aber das muss man nicht jedes Mal wiederholen, wenn es um Rechtsextremismus geht. Das ist eine Nichtanerkennung der Realität, und das macht mich so wütend.

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