Werbung

Wird ab jetzt das rechte Auge mittrainiert?

Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses zu der Nazi-Mordserie

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will nach den offenkundig schwerwiegenden Versäumnissen und Fehlern beim Kampf wider rechtsextremistischen Terrorismus vieles neu und manches sogar ganz anders organisieren. Erste Häppchen verteilte Friedrich gestern bei einer geheimen Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses in Berlin.

Daniel Giese aus Meppen ist Frontmann einer bundesweit in der Nazi-Szene bekannten Hass-Band. 2010 veröffentlichte sie den »Döner-Killer Song«. Im Text heißt es: »Spannender als jeder Thriller, sie jagen nach dem Döner-Killer. Neunmal hat er bislang brutal gekillt - doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.«

Scheußlich, doch kein Täterwissen, hatte der niedersächsische Verfassungsschutz damals festgestellt. Auch die Prüfung beim Landeskriminalamt ergab nichts Strafrelevantes. Ein wenig mehr Nachdenken hätte Verfassungsschützer und Polizisten in ganz Deutschland auf die richtige Spur und damit dem Zwickauer Nazi-Mörder-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt näher gebracht. Denn: In der rechtsextremistischen Szene war offensichtlich längst klar, dass die Morde an den aus der Türkei und aus Griechenland stammenden Händlern von »rechten Kameraden« begangen wurden.

Doch es sind nicht solche »internen« Pannen, die bei der gestrigen Sondersitzung des Bundestagsinnenausschuss zu bereden waren. Da galt es unter anderem, einen Abwehrkampf zu führen, denn es besteht die Gefahr, dass es ans »Eingemachte« der Innenbehörden geht. Immerhin haben Grüne und Linkspartei einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht, um die Hintergründe der Neonazi-Mordserie aufzudecken. Es müsse, so sagte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel am Wochenende, »eine parlamentarische, eine öffentliche Aufklärung geben«.

Die notwendigen Stimmen zur Einrichtung eines solchen Untersuchungsausschusses könnten die interessierten Fraktionen locker zusammenbringen. Das weiß auch CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach und betonte: Kein Verantwortlicher dürfe etwas »zurückhalten, relativieren oder beschönigen«. Dabei meinte er aber eher die Auskunftspflicht in internen Runden wie dem von ihm geleiteten Innenausschuss.

Der brachte - was die Morde und die Täter samt Umfeld betrifft - offenbar nur marginal Neues. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, machte beispielsweise Andeutungen, wonach es mehrere »Schnittpunkte« zwischen dem Umfeld der am 25. April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin und dem Mördertrio gegeben habe. Es ging da angeblich um eine Kneipe, die ihre Familie erwerben wollte, die jedoch an jemanden mit Namen Zschäpe ging. Die Bundesanwaltschaft will Spekulationen über eine »Beziehungstat« nicht kommentieren, die Polizei in Baden-Württemberg hat derartige Vermutungen bereits in der vergangenen Woche ins Absurde verbannt.

Der Bundesinnenminister mied Krimisujets und versuchte sich als Mann der Tat. Er verkündete, die Regierung habe sein zu gründendes Abwehrzentrum gegen rechten Terrorismus abgesegnet. Verfassungsschutz und BKA werden es leiten, die Länder sind zum Mittun eingeladen. Ziercke verpasste dem zukünftigen Zentrum nicht nur Analyse-, sondern auch operative Funktionen. Beschlossen sei zudem eine neu zu schaffende Verbunddatei, in die nicht nur Fakten über Terrorverdächtige, sondern auch über Rechtsextremisten eingestellt werden sollen. Strittig sind noch Details beispielsweise zur Verlängerung der Speicherfristen. Doch auch vieles andere, so ließen Experten durchblicken, sei noch in der Schwebe. In dieser Woche wolle man mit den Ländern sprechen und in der nächsten Nägel mit Köpfen machen.

Allen Transparenzbekundungen zum Trotz - die Regierung versuchte es gestern wieder mit Tricks. Nachdem es trotz pausenlos gepredigter islamistischer Terrorgefahr nicht gelang, eine Vorratsdatenspeicherung gesetzesfest zu machen, versuchte Minister Friedrich nun aus dem rechten Terror und den Pannen seiner Leute Vorratsdaten-Kapital zu schlagen. Auch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten soll im Rahmen einer »Gesamtkonzeption« weiter gelockert werden.

Der Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz Heinz Fromm, der langsam auch an den altersmäßig begründeten Abschied vom Job denken muss, sprach gestern klipp und klar von einer »Niederlage der Sicherheitsbehörden«. Warum aber unter seiner Leitung 2006 die BfV-Sonderkommission für Rechtsextremismus »Rex« abgeschafft wurde, vermmag er nicht schlüssig zu erklären.


Alles geheim

Bei den derzeitigen Ermittlungen zur rechtsextremen Terrorzelle bleibt die Öffentlichkeit häufig außen vor. Nachdem der Innenausschuss des Bundestages geheim tagte, fand das darauf folgende Hintergrundgespräch im Haus der Bundespressekonferenz »unter 3« statt. Das bedeutet, dass Zitate der anwesenden Klaus-Dieter Fritsche (Staatssekretär im Bundesinnenministerium), Jörg Ziercke (Chef des Bundeskriminalamts) und Heinz Fromm (Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz) nicht publiziert werden dürfen. Dabei kann es ohne Öffentlichkeit keine Demokratie geben. Das gilt auch, wenn es darum geht, gegen die Feinde des demokratischen Gemeinwesens vorzugehen. avr

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.