Was hat es mit dem sogenannten Lebensmittelpunkt auf sich?
Ansprüche an Grundstücken in den neuen Bundesländern nach Sachenrechtsbereinigungsgesetz
Die Fragen sind akut im Zusammenhang mit den gegenwärtig geführten Diskussionen über die Frage, ob Ansprüche nach dem SachenRBerG überhaupt verjähren können beziehungsweise ob dies bereits zum 31. Dezember 2011 der Fall sein könnte.
1.
Das SachenRBerG vom 21. September 1994 privilegiert Grundstücksnutzer, wenn sie die in diesem Gesetz fixierten Voraussetzungen erfüllen, wie folgt: Sie können zum Einen das Nutzungsgrundstück bzw. eine Teilfläche davon zum hälftigen Bodenrichtwert ankaufen mit den entsprechenden Abzügen gemäß § 19 Abs. 3 SachenRBerG vom vollen Bodenrichtwert oder zum Anderen über diese Fläche einen Erbbraurechtsvertrag mit ermäßigtem Erbbauzins schließen.
Während also sonst der Nutzer eines Grundstückes mitnichten vom Grundstückseigentümer verlangen kann, ihm das Grundstück oder eine Teilfläche davon zu veräußern, eröffnet das SachenRBerG ihm diese Möglichkeit. Voraussetzung ist allerdings, dass die Regelungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, b, c SachenRBerG (beschränkt auf die neuen Bundesländer) erfüllt sind: Das heißt, dass die Grundstücksnutzer das Grundstück berechtigt auf der Grundlage eines Miet-, Pacht-, Überlassungsvertrages oder mit Billigung staatlicher Stellen nutzen und auf diesem Grundstück selbstständiges Eigentum an Gebäuden oder baulichen Anlagen (Garagen, Steganlagen etc.) nach den Rechtsvorschriften der vormaligen DDR errichtet bzw. erworben haben.
2.
Weiter folgt aus SachenRBerG, dass neben einer vertraglichen Nutzung des Grundstückes oder der Billigung durch staatliche Stellen der Nutzer ein zum Wohnen geeignetes Gebäude vor dem 3. Oktober 1990 oder nach dem 8. Mai 1945 errichtet haben muss oder dieses dauernd zum Wohnen genutzt hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 a i.V.m. § 8 SachenRBerG).
Wann eine Billigung staatlicher Stellen anzunehmen ist, ergibt sich aus dem § 10 Abs. 1 SachenRBerG. Sie soll jeweils dann vorliegen, wenn die in der DDR geübte Staats- und Verwaltungspraxis betreffend die bauliche Nutzung von Grundstücken ohne die Bestellung eines Nutzungsrechtes oder der Beteiligung der Grundstückseigentümer ausdrücklich gestattet wurde. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang von der gesetzlichen Vermutung auszugehen, dass, wenn eine behördliche Verfügung zum Abriss bis zum 2. Oktober 1990 nicht erging - und zwar innerhalb von fünf Jahren nach Fertigstellung des Wohngebäudes - von einer staatlichen Billigung der baulichen Inanspruchnahme des Grundstückes ausgegangen werden kann.
3.
Soweit das selbstständige Gebäudeeigentum nicht selbst errichtet, sondern käuflich erworben wurde, obliegt es demjenigen, der das Grundstück erwerben möchte, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Verkäufer ebenfalls Eigentümer des Wohngebäudes war. Soweit vom Gesetzgeber verlangt wird, dass das auf fremdem Grund stehende Gebäude zum Wohnen geeignet sein muss, dürfte dies nach den jeweils geltenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften zu entscheiden sein.
Sollte es hierüber Auseinandersetzungen mit dem Grundstückseigentümer geben, ist der Nachweis nur durch ein Gutachten zu erbringen.
4.
Nicht immer kann durch denjenigen, der davon ausgeht, zum Erwerb berechtigt zu sein, der Nachweis des ständigen ununterbrochenen Wohnens bis zum 2. Oktober 1990 erbracht werden. Wenn eine polizeiliche Meldebescheinigung nicht beizubringen ist, aus der sich ergibt, dass der Grundstücksnutzer bereits vor dem 3. Oktober 1990 auf dem Grundstück dauerhaft wohnte, weil er mit Hauptwohnsitz zum Beispiel in einer Stadtwohnung gemeldet war, kann durch Nachweis des sogenannten Lebensmittelpunktes eine Anspruchsberechtigung nach dem SachenRBerG nachgewiesen werden. Häufig wurden bei der Wohnungsknappheit in der DDR Wohnungen vorgehalten, beispielsweise für die Kinder, zumal der Mietzins relativ gering war.
Die Frage des »Lebensmittelpunktes« spielt eine recht große Rolle bei Grundstücken, die gemäß Vertrag zur Erholungsnutzung vergeben worden sind, oder in Kleingärten und dann mit einem zum Wohnen geeignetem Gebäude bebaut wurden und nunmehr zu den Konditionen des SachenRBerG erworben werden sollen.
Die Rechtsprechung, die zwischenzeitlich ergangen ist, lässt allerdings erkennen, dass bei der Bewertung des Dauerwohnens/des Lebensmittelpunktes nicht nur von formalen Gesichtspunkten, hier der Beibringung einer polizeilichen Meldebescheinigung und der Aufgabe der Stadtwohnung, ausgegangen werden kann. Sie lässt sogar einen zeitweiligen Aufenthalt an anderer Stelle zu (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 1. Februar 2005, Az. 4 U 206/04).
Allerdings muss der Anspruchsberechtigte den Nachweis dafür erbringen, dass er seinen Lebensmittelpunkt auf dem zu erwerbenden Grundstück hatte und hat. Er trägt also hierfür die Beweislast, was im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung durch das Gericht umfänglich geprüft wird.
Seinen Lebensmittelpunkt dürfte ein Anspruchsberechtigter auf dem Grundstück dann haben, wenn er die Dinge des täglichen Lebens von diesem Grundstück aus regelt und dies beweisen kann, zum Beispiel dadurch,
- dass seine Kinder schulische Einrichtungen in unmittelbarer Nähe des Grundstückes besucht haben;
- dass Ärzte in unmittelbarer Grundstücksnähe überwiegend zur Behandlung in Anspruch genommen worden sind;
- dass Arbeitskollegen im Rahmen einer Fahrgemeinschaft beziehungsweise bei angeordneten Bereitschaftsdiensten stets den Anspruchsberechtigten vom Pachtgrundstück abgeholt haben;
- wenn der Strom- und Wasserverbrauch auf dem Grundstück höher ist als in der noch angemieteten Stadtwohnung;
- wenn Kohlenkarten für die Heizung zu DDR-Zeiten für das Grundstück entgegengenommen worden sind;
- wenn eine umfängliche Hausratsversicherung abgeschlossen wurde für Haushaltsgegenstände, die zum täglichen Leben genutzt werden wie Kühlschrank, Fernseher, Wohnungseinrichtungen beziehungsweise
- wenn Wohnungseinrichtungen, die sich auf dem Grundstück befanden, oder aber auch der Pkw an die Adresse des Grundstückes geliefert wurden oder auch die Tageszeitung an die postalische Adresse des Pachtgrundstückes geliefert wurde.
- Auch die in Anspruch genommenen Schornsteinfegerleistungen können dafür sprechen, dass das Gebäude auf dem Pachtgrundstück geheizt und zum Wohnen genutzt wurde.
Aus den zuvor aufgeführten Beispielen, die selbstverständlich nicht vollständig sind, ergibt sich: Für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung wird sich das Gericht in einer »wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände« ein Urteil darüber bilden, ob der Lebensmittelpunkt des Anspruchsberechtigten sich tatsächlich auf dem Pacht- oder Mietgrundstück befunden hat. Selbstverständlich sind auch zeugenschriftliche Aussagen über die ständige Nutzung des Grundstückes durch Nachbarn möglich. Sollte sich eine gerichtliche Auseinandersetzung abzeichnen über den Nachweis des Lebensmittelpunktes, sollten alle Anspruchsberechtigten rechtzeitig entsprechende Beweise sammeln.
Dr. JUTTA RICHTER-THEWIS,
Rechtsanwältin, Berlin
(Siehe auch Ratgeber Nr. 1024 vom 2. November 2011, S. 5)
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