Viele Spuren, geradewegs ins Nichts

Die »ordnende Hand« oder: Wer führte die Polizei zur Nazi-Terrorzelle?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Beobachtungen, Aussagen, Analysen - schön und wichtig. Doch ab einer gewissen politischen Brisanz wird jede Gewalttat zunehmend undurchsichtiger. Die Enttarnung einer rechtsextremistischen Terrorzelle in Zwickau ist politisch hochbrisant.
Bankraub in Arnstadt: Hier erhielt die Polizei zweckdienliche Hinweise, um die Nazibande zu stoppen.
Bankraub in Arnstadt: Hier erhielt die Polizei zweckdienliche Hinweise, um die Nazibande zu stoppen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat 50 Mitarbeiter zur Durchleuchtung der Zwickauer Nazi-Terrorzelle abgestellt, Landesämter arbeiten zu. Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Länderpolizeien stellen 330 Ermittler. Es geht (mindestens) um zehn Tötungsdelikte, 14 Banküberfälle, widerliche DVDs, Bank- und E-Mail-Konten, Handydaten, falsche echte Dokumente - vom Pass über Bahn- bis zu EC-Karten -, um DNA-Spuren, Fingerabdrücke, Anmietungen von Wohnungen, Autos und 30 Wohnmobilen.

Zu klären ist die Frage, wer das braune Mördertrio - so es eines war - Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unterstützte, wer Waffen beschaffte, bei Überfallplanungen half. Die Ermittlungen, so sagt der neue Generalbundesanwalt Harald Runge, »verlaufen dynamisch«. Viele Ermittler, noch mehr Spuren - die im Nichts enden. Oder einfach nur falsch sind. So wie offensichtlich jene zum »Beziehungsdelikt«, die BKA-Chef Jörg Zierke am Montag austratschte. Danach hatte die ermordete Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter irgendwelche Berührungspunkte mit den zwei männlichen Nazi-Killern. Eine Gaststätte in Oberweißbach, wo Kiesewetter herstammt, spiele eine Rolle. Nachforschungen ergaben: Unsinn. Wer einmal irrt ...

Am Dienstag erzählte das BKA dann etwas über die Vorgänge in Zwickau. Dort war am 4. November die Sparkasse am Nordplatz überfallen worden. Von wem? Es heißt von Mundlos und Böhnhardt. Der Zeuge, der die Räuber zu Fuß flüchten sah, wurde »getoppt« von einem anderen, der sie auf Fahrrädern hat fliehen sehen. Die hätten sie in ein Wohnmobil geworfen, das eiligst losgefahren sei. Gesteuert von wem?

Egal. Das passte ins Bild, entsprach der Vorgehensweise der Räuber bei anderen Überfällen, beispielsweise Anfang September in Arnstadt. Da hatten die Räuber zwar auch Masken auf, doch irgendwer machte irgendwie ein gelungenes Nazi-Phantombild.

Das jüngst verwendete Wohnmobil jedenfalls stand bereits seit 3. November im Eisenacher Schafrain. Das ist eine ruhige Straße, wo ein solches Ungetüm mit fremder Nummer sofort auffällt. Und genau dahin kehrten die Bankräuber mit ihrem fahrbaren Stützpunkt zurück. Zwei Streifenpolizisten entdecken es. Und dann kommt noch etwas aus 1001er Nacht. »Die ermittelnden Behörden gehen davon aus, dass die beiden im Wohnmobil aufhältigen Täter bemerkt hatten, dass sich Polizeibeamte dem Fahrzeug näherten«, sagt das BKA. Daraufhin habe Uwe Mundlos erst seinen Komplizen erschossen, danach das Wohnmobil in Brand gesetzt und sich anschließend gerichtet.

Dieser einfache »Doppelselbstmord« hat weitere dubiose Züge. Zunächst fehlt ein Motiv. Zweitens ist eine von Zeugen beobachtete dritte Person völlig vom Ermittlungshorizont verschwunden. Dafür ist jetzt - zwei Wochen später - von Schüssen die Rede, die die Nazis auf Polizisten abgefeuert haben sollen. Was schlechterdings nicht möglich war aus dem Wohnmobil heraus. Und weil es sie vermutlich nicht gegeben hat, wurden sie auch von Anwohnern - auch jenen, die in unmittelbarer Nähe das Fenster offen hatten - nicht gehört. Geschweige, dass jemand die Schützen sah. Zunächst war die Rede davon, man habe vier Pistolen (darunter die Dienstwaffe des Kollegen der getöteten Heilbronner Polizistin) und drei Gewehre an Bord gefunden. Am Dienstag tauchte eine »griffbereit« liegende Maschinenpistole auf. Die sei zwar »mutmaßlich defekt«, doch wurde aus ihr »möglicherweise ein weiterer Schuss abgegeben«. Wo sind die Projektile, die Hülsen? Wieso schickte die Polizei Feuerwehrleute zum Löschen vor, wenn sie doch nicht wissen konnte, dass die schießwütigen Insassen tot sind? Im Wohnmobil, das ja wieder zurückgegeben werden sollte, fanden sich ferner 40 Umzugskisten. Ist es logisch, dass man mit möglichst viel Beweismaterial an Bord zu einem Banküberfall fährt? Die Liste möglicher Zweifel an der Eisenach- Variante ließe sich verlängern.

Und was ist mit Beate Zschäpe? Es heißt, sie hätte die Zwickauer Wohnung in Brand gesetzt, um Beweismittel zu vernichten. Die in Fülle intakt blieben. Wer sagt, dass sie das Feuer legte? Sicher ist, dass sie sich - via Anwalt - der Polizei stellte. Klar, dass sie einen Kronzeugendeal aushandeln wollte - an dem die angeblich vom rechten Terror überraschten Ermittler mindestens ebenso interessiert sein müssten. Doch noch immer gibt es den Deal nicht. Seltsam. Ist Zschäpe vielleicht vor allem zur Polizei, um ihr Leben zu retten?

Gibt es irgendwo eine ordnende Hand, die irgendwie dem grausamen Treiben von aus dem Ruder gelaufenen Nazis ein Ende machen wollte? Die notwendige Beweise für gewünschte Ermittlungsergebnis konzentrierte und auf weitere Zeugenschaft verzichten wollte? Absurd? Ja. Aber nicht unmöglich.

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