Die Entscheidung, die das Sterben verändert

  • Oliver Tolmein
  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Oliver Tolmein, Jahrgang 1961, ist Fachanwalt für Medizinrecht. Er schreibt seit 25 Jahren Bücher und Artikel über bioethische Themen.
Dr. Oliver Tolmein, Jahrgang 1961, ist Fachanwalt für Medizinrecht. Er schreibt seit 25 Jahren Bücher und Artikel über bioethische Themen.

Weihnachten naht, die Zeit der Rettung und der Gnade - und schon wird sich eine Allparteien-Koalition bei einem bioethischen Dauerbrenner einig: Der Druck auf die Bundesbürger, sich künftig in irgendeiner Form zur Organspende zu erklären, soll erhöht werden. Davon versprechen sich die Fraktionschefs, dass mehr Menschen sich nach einem festgestellten Hirntod bereitwillig die Organe entnehmen lassen. Die Annahme hat wenig Substanz. Wer möchte, dass sich mehr Menschen die Organe entnehmen lassen, hat auf anderen Wegen mehr Erfolg. Vergleichsweise unbedenklich ist der Weg über die Verbesserung der Infrastruktur: Wenn jede Klinik einen Transplantationsbeauftragten hat, der sich darum sorgt, dass geeignete Patienten auch entsprechend gemeldet werden und mit ihren Angehörigen kompetent gesprochen wird, dürfte das erheblich mehr bewirken - ein entsprechendes Gesetz ist derzeit, ohne dass es die Öffentlichkeit sehr beschäftigte, auf dem Weg. Wie es umgesetzt werden wird, wird sich zeigen. Ein Dilemma allerdings wird es nicht lösen können: Es wird auch dann deutlich »zu wenig« Organe geben, die Menschen eingesetzt werden können, denn der wachsende Bedarf - seit Jahren trotz steigender Transplantationszahlen konstant mit 12 000 Menschen angegeben - übersteigt dramatisch die Zahl der Menschen, bei denen ein Hirntod festgestellt wird: Dem Bericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zufolge gab es 2010 überhaupt nur 1876 potenzielle Organspender (bei zwei Dritteln von ihnen wurden dann auch tatsächlich ein oder mehrere Organe entnommen, ganz überwiegend nicht auf Basis einer Organspende-Erklärung, sondern nach Zustimmung der Angehörigen, das führte dann zu über 4000 Transplantationen). Das ist natürlich kein Grund dafür, dann politisch gar nichts mehr zu tun. Es macht aber deutlich, dass hier gegenwärtig ein Szenario entwickelt wird - wenn sich die Bürger nur entscheiden würden, hätten wir im Bereich der Transplantationsmedizin kein nennenswertes Problem mehr -, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Der Preis aber, den die Gesellschaft für dieses symbolische Überengagement mancher Politiker zahlen muss, ist enorm: Es wird faktisch eine gesellschaftliche Verhaltenspflicht in einem höchst privaten Bereich konstituiert, die überaus bedenklich ist und die auch deutlich macht, dass das in anderen bioethischen Debatten stark akzentuierte Recht auf Selbstbestimmung von Patienten nicht ganz so grundsätzlich gemeint ist, wie man es sich wünschen würde. Selbstbestimmung wird (beispielsweise im Rahmen der Patientenverfügung) paradoxerweise vor allem dann unterstützt, wenn die Ergebnisse einem »common sense« entsprechen: Wer seine (kostspielige) Versorgung bei schwerer Krankheit und hoher Pflegebedürftigkeit abbrechen und sterben möchte, hat weniger Probleme bei der Durchsetzung seines Selbstbestimmungsrechts als der Schmerzpatient, der eine Behandlung mit nicht zugelassenen Medikamenten begehrt.

Zurück zur Organentnahme: Während in der Debatte über Patientenverfügungen allgemein anerkannt wurde, dass es ein Recht darauf geben muss, sich der High-Tech-Medizin zu entziehen und in Ruhe sterben zu können, werden in der Debatte über Organentnahme die Bedingungen des medizinisch kontrollierten Sterbens, die Voraussetzung dafür sind, dass jemand ein »guter« Spender wird, überhaupt nicht thematisiert. Auch dass viele Patientenverfügungen unvereinbar damit sind, dass jemand Organspender werden kann, wird im parlamentarischen Raum nicht debattiert.

Menschen werden also zu Entscheidungen gedrängt, die dafür erforderlichen Möglichkeiten, unabhängige Informationen zu erhalten, werden ihnen aber nicht zur Verfügung gestellt. Schon bei der Debatte über Patientenverfügungen wurde der einzige Entwurf zum Gesetz, der keinen Beratungsanspruch vorsah. Auch jetzt ist im Rahmen der Debatte über »Erklärungslösungen« kein Anspruch auf unabhängige Beratung vorgesehen, sondern allenfalls eine zielorientierte Information durch die Krankenkassen.

Angesichts dessen kann es nicht darum gehen, wie die »Zahl der Spender erhöht« werden kann, sondern darum, wie die »Freiwilligkeit« der Erklärungen über Organentnahme gesichert werden soll. So richtig es ist, auf die schlimme Lage der kranken Menschen zu verweisen, für die eine Transplantation eine Behandlungsmöglichkeit darstellt (der Erfolg ist auch da alles andere als garantiert), so wichtig ist es, sich klar zu machen, dass Organe nicht einfach ein Medikament oder Heilmittel sind, sondern Bestandteile des Körpers eines anderen Menschen, dessen Sterben durch die Entscheidung für eine Organentnahme erheblich verändert wird.

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