Durch die Drosselgasse um die Welt

Der Rüdesheimer »Weihnachtsmarkt der Nationen« hat sich in 18 Jahren zu einem touristischen Highlight gemausert

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.
Echte Lappländer
Echte Lappländer

Der Weihnachtsmann hat jetzt zu Hause in Lapplands Hauptstadt Rovaniemi alle Hände voll zu tun. Dennoch versprach er, sich bis zum Heiligen Abend noch einmal auf den Weg ins rund 2000 Kilometer entfernte Rüdesheim zu machen, um dort nach dem Rechten zu schauen. Einen echten samischen Botschafter allerdings hat er schon vorweggeschickt, Jonni Lehtiwirta. Dessen Residenz in der Drosselgasse besteht aus mehreren Blockhütten, einer wärmenden Feuerstelle und zahlreichen finnischen Mitarbeitern. Zum neunten Mal schon gibt es diese zeitweilige finnische Landesvertretung auf dem Rüdesheimer »Weihnachtsmarkt der Nationen«. Die Samen in ihren traditionellen farbenfrohen Trachten verkaufen hier nicht nur Rentierfelle, Moltebeeren, Strickwaren oder Rentierbratwurst, sondern setzen sich gern mit den Besuchern um die große Feuerschüssel und erzählen Geschichten aus der Heimat des Weihnachtsmannes. Dabei trinkt man entweder einen traditionellen »Minto« aus heißer Schokolade mit Pfefferminzschnaps oder einen Becher »Glöggi« aus heißem gewürzten Heidelbeer-, Trauben- und Johannisbeeresaft.

Von Lappland braucht's nur ein paar Schritte bis nach Amerika. Den Weg kann man gar nicht verfehlen - 30 000 glitzernde Lämpchen am Gasthaus »Winzerkeller« erinnern an Bilder, die man aus weihnachtlichen Hollywoodfilmen kennt. Iris Biesold ist hier die Chefin und bringt den Besuchern die Traditionen der Heimat ihres Bruders nahe, der seit vielen Jahren schon in den USA lebt. »Probieren Sie mal Eggnog«, sagt sie und reicht ein Glas süße Sünde aus Bourbon Whisky, Eiern, Sahne, Vanille und Muskatnuss herüber.

Iris gehört gewissermaßen zur Erstausstattung dieses besonderen Weihnachtsmarktes, der vor 18 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Von Anfang an ist sie dabei, ihr Mann Ralf gehört zu den Organisatoren vom »Weihnachtsmarkt der Nationen«, der gern auch mal am Stand von Martin Siegfried, einem Rüdesheimer Winzer, auf einen weißen Glühwein aus heimischem Riesling einkehrt. Diese Spezialität ist wirklich etwas anderes, als der ansonsten übliche süße Billigwein aus der Pappkiste! Wie das ganze Konzept vom »Weihnachtsmarkt der Nationen« etwas Besonderes hat.

1991 saßen Gastronomen, Händler und Winzer von der Werbegemeinschaft »Rund um die Drosselgasse« zusammen, und überlegten, was man tun könne, um die Saison zu verlängern. Viele von uns haben Freunde oder Verwandte in ganz unterschiedlichen Ländern, hatte die Wirtin vom Hotel Lindenwirt, Marlene Breuer, die Idee. Und sie machte den Vorschlag, deren Traditionen auf einem vorweihnachtlichen Markt zusammenzuführen. 1993 begann dann alles mit wenigen Ständen, Jahr für Jahr wuchs die internationale Familie. 2011 bilden 118 Stände aus 21 Ländern einen 1,2 Kilometer langen Rundkurs durch das idyllische 10 000-Einwohner-Städtchen. Kitsch oder lärmende Hightech-Karussells haben Hausverbot, dafür sind Exoten immer gern gesehen. Wie beispielsweise eine echte mongolische Jurte, in der Botochir Munkhzul vor allem Strickwaren aus Kaschmir- und Yakwolle aus ihrer Heimat verkauft.

Viele der ausländischen Händler, die hier ihre Waren oder kulinarischen Spezialitäten anbieten, haben in der Region seit Jahren eine neue Heimat gefunden, andere kommen extra von weither, um für vier Wochen Teil dieser großen Familie zu sein. Wie Leszek Laskowiski aus Glogow in Polen mit landestypischen Spezialitäten oder Fotev Georgiea aus Varna in Bulgarien mit kunsthandwerklichen Lederwaren.

In diesem Jahr allerdings sah es kurzzeitig so aus, als müsste der Weihnachtsmarkt ausfallen. Ralf Biesold kann sich noch sehr gut an den 20. August erinnern, als im Ort das alljährliche Weinfest gefeiert und plötzlich durch Feuerwehrsirenen gestört wurde. Der Lagerplatz, auf dem die Hütten des Weihnachtsmarktes gelagert waren, stand in hellen Flammen. 90 Prozent verbrannten. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich um Brandstiftung, die Täter allerdings konnten bis heute nicht gefasst werden. »Wir waren für einen Moment wie gelähmt«, erzählt Ralf Biesold. »Doch schnell fassten wir den Entschluss, neue Hütten zu bauen«. 170 000 Euro zumeist aus privaten Mitteln kostete alles, viele packten mit an, am 8. November war alles fertig. »Es hat sich gelohnt«, strahlt Biesold, »noch nie war der Weihnachtsmarkt schöner als in diesem Jahr.«

Das finden auch die quietschfidelen Frauen der »Kirmesgesellschaft Asterstein«, die extra aus dem 80 Kilometer entfernten Koblenz gekommen sind, weil »es hier so romantisch ist«, weil »es so international zugeht«, weil »es weder Hektik noch Stress gibt«, weil »man schnell mit fröhlichen Leuten ins Gespräch kommt«. Jede weiß einen anderen guten Grund, bis eine mit ihren selbstgenähten glitzernden giftgrünen Handschuhen das Zeichen gibt, endlich weiterzuziehen. Schließlich sei man gekommen, um sich zu amüsieren, und genau das werden sie jetzt tun.

Ihr Weg führt auch an Weihnachtskrippe auf dem Marktplatz vorbei, die von einem Nürnberger Künstler angefertigt wurde und als Europas größte geschnitzte Krippenlandschaft gilt. Auf 150 Quadratmetern kann man die Heilige Familie, Hirten, Schafe und andere Tiere in Lebensgröße bewundern.

So schön der Weihnachtsmarkt selbst ist, es lohnt sich, das Treiben auch mal von oben zu betrachten. Am bequemsten ist es, die Seilbahn zu nutzen, und gemächlich über die Weinberge hoch zum Niederwald-Denkmal zu schweben. Das ist zwar zur Zeit wegen Sanierungsarbeiten eingepackt, dem Erlebnis tut das aber keinen Abbruch. Zumal man unterwegs dem Weihnachtsmann begegnet, der sich noch bis zum Heiligen Abend eine der Gondeln zur Dauernutzung reserviert hat. Oben angekommen hat man tagsüber einen schönen Blick über den Rhein in die Weinlandschaft, abends auf das bunte Lichtermeer vom Weihnachtsmarkt.

Spätestens 21 Uhr wird es allerdings dunkel im Weihnachtswunderland - aus Rücksicht auf die Bewohner der dichtbesiedelten Altstadt. Was aber nicht bedeutet, dass dann im Ort die Bürgersteige hochgeklappt werden. Jetzt beginnt die Zeit der Weinstuben, wo man unbedingt einen Riesling, den Rüdesheimer »Hauswein« probieren sollte, der auf 80 Prozent der Rebflächen angebaut wird.

Noch bis zum 23. Dezember lädt das Christkind täglich auf den »Weihnachtsmarkt der Nationen« ein. Am Ende werden ihn wohl auch in diesem Jahre wieder rund 200 000 Besucher aus nah und fern besucht und die Händler, Hoteliers, Gastronomen und Winzer einen Umsatz von rund zehn Millionen Euro gemacht haben.

  • Infos: Rüdesheim Tourist AG, Geisenheimer Str. 22, 65385 Rüdesheim am Rhein, Tel.: (06722) 906 15-0, Fax: -3485, E-Mail: touristinfo@ruedesheim.de, www.ruedesheim.de
  • Weihnachtsmarkt der Nationen: www.w-d-n.de, geöffnet bis 23.12., täglich von 11 bis 20 Uhr, Freitag und Samstag bis 21 Uhr
Die lustigen Damen von der Koblenzer »Kirmesgesellschaft Asterstein«
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