Gefahr im Netz!?
Transparenz für Verbraucher scheitert an der Politik und am Widerstand von Unternehmen
Die Revolution der Kommunikation nichts als ein gigantisches Sicherheitsrisiko - für den einzelnen Menschen, für Staaten, für die globale Gesellschaft? Netzexperten diskutierten bei einer Veranstaltung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung darüber, wie die digitale Gesellschaft gestaltet werden kann, damit sie freiheitlich, demokratisch und offen bleibt.
Viktor Mayer-Schönberger, Leiter des Oxford Internet Institute, fordert mehr Datensicherheit durch neue Marktmechanismen. Erst wenn Unternehmen bei Schludereien mit persönlichen Informationen oder Kontonummern Strafen befürchten müssen, würden sie damit auch sorgsamer umgehen. Für Banken gebe es etwa bis heute bei Datenpannen keine wirksamen Haftungsverpflichtungen. Aber auch die Verbraucher ließen sich zu viel gefallen.
»Wir haben es im Internet mit einem dramatisch zu geringen Investment der kommerziellen Anbieter in Sicherheit zu tun, weil ein hacking nicht ausreichend wirtschaftliche Folgen für ein betroffenes Unternehmen hat«, urteilt Mayer-Schönberger. Der Professor verweist auf den Sony-Konzern, dem mehrere 100 000 personenbezogene Daten seiner Playstation-3-Spieler abhanden kamen. »Es gab keine Massenproteste gegen Sony«, beklagt er. Auch hier gelte wohl der globale Grundsatz »to big to fail«. An die Multis trauen sich die Gesetzgeber nicht heran, und wollen es oftmals auch gar nicht.
Ein Grund dafür wird in mangelnder Sachkompetenz der Politik gesehen. Sie hinke den dringenden Fragen der Cyber-Sicherheit hinterher, bescheinigt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC), die auch Sachverständige in der Enquete-Kommission des Bundestags »Internet und digitale Gesellschaft« ist. Nur etwa 20 Bundestagsabgeordnete setzten sich dauerhaft mit Internet-Fragen auseinander. Viel zu wenig, müssten die digitalen Fragen doch ein Querschnittsthema etwa auch für Wirtschafts- oder Bildungsressorts darstellen.
Das größte Problem macht Kurz aber in der Kommerzialisierung des Datennetzes aus. Mehr Transparenz für den Verbraucher scheitert demnach seit Jahrzehnten an der Untätigkeit der Bundesregierungen und am Widerstand der Unternehmer. Der Chaos Computer Club hat eine Idee des Datenschutzexperten Spiros Simitis aus den 70er Jahren aufgenommen, das Paradigma der Auskunft im Datenschutz umzudrehen: Diejenigen, die Daten verarbeiten, müssten den Datengeber informieren. Das haben sie dann »Datenbrief« genannt. Daraufhin habe sich im Bundesinnenministerium eine Arbeitsgruppe gegründet. »Zu der Arbeitsgruppe waren, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, alle Direktmarketing-Verbände eingeladen. Die ganzen Lobbyisten saßen da und es war vollkommen klar, dass da nie etwas herauskommen würde«, erklärt die CCC-Sprecherin.
Mit Blick auf die Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung kritisiert Kurz, dass nicht wenige Politiker die Online-Überwachung immer noch für ein Allheilmittel hielten. »Man setzt technische Systeme dort ein, wo vorher Beamte saßen. Hier ist die Hoffnung da, man könnte mit diesen Datenmengen Defizite ausgleichen.«
Dramatisch wirkt sich aus ihrer Sicht die Blauäugigkeit der Politik gegenüber der digitalen Kommunikation in der arabischen Welt aus. Arabische Aktivisten halten die Darstellung in den europäischen Medien über die twitter- und die facebook-Revolution »für sehr überzogen«, berichtet Kurz. »Tatsächlich hat europäische Technik beinahe diesen arabischen Frühling verhindert«, so ihre Kritik. »Die europäische Filter- und Überwachungstechnik, die die Netze in Echtzeit analysieren und die Menschen, die telefoniert oder ihren facebook-account benutzt haben, einen Tag später in den Folterknast gebracht haben, liefern wir.« Würden die Verantwortlichen die Risiken der neuen Technologien verstehen, müssten sie restriktiver damit umgehen. Kurz fordert Exportbeschränkungen und diese »gefährlichen Techniken« als Waffen zu klassifizieren.
Aber es kommt auch auf die Mündigkeit der Benutzer an. Bürger können Schadensersatzansprüche auf Grund fehlerhafter Datenverarbeitung geltend machen. Doch bislang wird dieses Recht vor Gericht so gut wie nie geltend gemacht, weiß Internetexperte Mayer-Schönberger. Allerdings sind solche Gesetze meist sehr kompliziert. Neue Techniken und Anwendungen sollten deshalb darauf ausgelegt sein, dass nur noch ein Mindestmaß an möglichst anonymisierten Daten preisgegeben werden muss, fordert etwa der Chaos Computer Club.
Dass die Bürger aber, zumal die jungen, mit dem Internet zu sorglos umgingen, hält Mayer-Schönberger für ein Gerücht. Die allermeisten wünschten sich, so eine aktuelle Umfrage der Universität Berkeley, dass im digitalen Netz auch wieder gelöscht wird: »Eine der Fragen war, ob es ein Recht auf Vergessen im Internet geben soll? Die ältere Generation wollte das zu 92 Prozent und die junge Generation zu 84 Prozent.«
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