Relatives Billiglohnland
EU-Vergleich: Weiter niedrige Lohnkosten in Deutschland
In Deutschland sind die Arbeitskosten im Jahr 2010 erneut stark unterdurchschnittlich gewachsen. Nach dem jährlichen Arbeitskostenreport des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung betrug die Steigerung hierzulande 0,6 Prozent, wogegen der Europa-Schnitt bei 1,7 und der Euro-Schnitt bei 1,6 Prozent lagen. Nur in Irland und Griechenland, die 2010 unter krisenbedingten Einbrüchen zu leiden hatten, sei die Steigerung der Arbeitskosten noch geringer ausgefallen, so IMK-Chef Gustav Horn am Montag in Berlin.
Damit setzt sich ein aus seiner Sicht bedenklicher Trend fort, der sich über das ganze vergangene Jahrzehnt erstreckt habe. So sind laut IMK-Report die Arbeitskosten in Deutschland nominal um durchschnittlich 1,7 Prozent jährlich gestiegen, während der nominale durchschnittliche Zuwachs im Euroraum für das vergangene Jahrzehnt bei 2,8 und im EU-Schnitt sogar bei 3,3 Prozent liegt.
Als Resultat dieser Entwicklung orientiert sich das einstige Hochlohnland Bundesrepublik laut IMK auch in absoluten Zahlen längst am Mittelfeld. 2010 kostete die deutsche Arbeitsstunde den privaten Arbeitgeber demnach 29,10 Euro - mittlerweile liegen andere klassische Hochlohnländer wie die Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Schweden und Dänemark deutlich darüber. Hier kostet die durchschnittliche Arbeitsstunde zwischen 30,40 und 38,20 Euro. Auffällig an der deutschen Entwicklung ist zudem eine krasse Diskrepanz zwischen Industrie und Dienstleistungsbereich: Im produzierenden Gewerbe kostete die Stunde durchschnittlich 32,90 Euro, bei den privaten Dienstleistungen lediglich 26,70 Euro - was bereits beinahe dem EU-Durchschnitt von 26,50 Euro entspricht. In Dänemark kostet die private Dienstleistungsstunde dagegen 39 Euro. Auch im öffentlichen Dienst liegt Deutschland bei den Arbeitskosten nur noch auf Rang fünf.
Bedenklich an dieser gespaltenen Entwicklung ist aus Sicht des IMK, dass bereits durch die in absoluten Zahlen noch vergleichsweise hohen Arbeitskosten im exportorientierten Gewerbe »die Balance zwischen Außenhandel und Binnennachfrage in Deutschland geschwächt und die massiven wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum gefördert« würden. Diese zählten »zu den wichtigsten Ursachen der aktuellen Krise der Währungsgemeinschaft«. In Deutschland selbst sorge der wachsende Niedriglohnsektor insbesondere im Dienstleistungsbereich für eine Strangulierung der Binnennachfrage - die ihrerseits wiederum die Exportorientierung begünstige. »Kurzfristig« kann Horn keine Anzeichen für eine Trendwende erkennen, »mittel- bis langfristig« gebe es dazu keine Alternative.
Während in Deutschland Lohnerhöhungen von mindestens 3 bis 3,5 Prozent wirtschaftlich vernünftig seien, rät Horn Ländern wie Griechenland zu einer behutsamen Strategie. Aus seiner Sicht angemessen seien Nullrunden über einige Jahre, so dass die Produktivitätsgewinne über einen mittelfristigen Zeitraum allein der Wettbewerbsfähigkeit zugute kämen - auf keinen Fall aber plötzliche massive Einschnitte bei den Löhnen, die nur zu einer deflationären Spirale führen könnten.
In Deutschland komme es vor allem darauf an, in den tariflosen Bereichen der Wirtschaft Standards zu setzen, sagte Horn. Nach seiner Schätzung sind etwa 40 Prozent der deutschen Arbeitsplätze nicht mehr von Tarifverträgen abgedeckt.
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