Wieder lachen können
Berliner Ärzte helfen Bürgerkriegsopfern aus Lybien
Als Mohamed Z. ins Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Grunewald eingeliefert wird, ist bis auf die braunen Augen von seinem Gesicht nicht mehr viel erkennbar. Von der Oberlippe ist noch etwa ein Zentimeter übrig, von der Unterlippe etwa doppelt so viel. Sechs Zähne hat er noch. Der Mund ist nach einer Notoperation so gut wie verschlossen. Vom Unterkiefer fehlt ein Stück, Knochenreste eitern und die Nase ist entstellt. Der 29-Jährige kann weder schlucken noch kauen, geschweige denn sprechen. Eine Magensonde hält ihn am Leben.
Heute kann er essen, sprechen und sogar lachen. Er hebt den Daumen und sagt: »Ich bin glücklich.« Immer wieder streicht der Libyer mit seiner Hand über sein seit September viermal operiertes und noch vernarbtes Gesicht. Er schaut gelassen auf Fotos, die den Operationsfortschritt dokumentieren. Für Johannes Bruck, den Chefarzt der Klinik für Ästhetische Chirurgie am Luther-Krankenhaus, ist das ein gutes Zeichen. »Er hat das Gesicht als seines akzeptiert.« Das sei längst nicht bei allen Patienten so. Nach der ersten Operation in Berlin wollte auch Mohamed Z. noch nicht in den Spiegel schauen.
Der Architekt saß als Zivilist in seinem Auto, als im Juni während der Kampfhandlungen in der Stadt Misrata Raketensplitter ein Loch in sein Gesicht rissen. Sein Onkel brachte ihn nach Ägypten, wo Ärzte ihm das Leben mit einer Magensonde retteten und sein Gesicht das erste Mal operierten. Über die Hilfsorganisation »Ärzte in Deutschland für Libyen« kam der Schwerverletzte nach Berlin, wo ihn Bruck und seine Kollegen seitdem behandeln.
Die Ärzte verstärkten den Kiefer und rekonstruierten die Nase. Aus der Leistengegend entnahmen sie ein handgroßes Hautstück, das sie auf das Gesicht setzten. »Die Haut ist an der Leiste sehr dünn, damit lässt sich die Mimik besser herstellen«, erklärt Bruck. Mit Haut aus dem Arm stellten die Ärzte den Mund wieder her, dessen Winkel noch erweitert werden müssen. Jetzt fehlt noch eine Zahnprothese.
Die Operationen seien alltägliche Chirurgie, sagt Bruck. Schwierig seien eher die Planung und der Umgang mit dem Patienten. Dieser sei schließlich in depressivem Zustand in ein fremdes Land gekommen, ohne zu wissen, was passiert. Nur schriftlich und mit Hilfe einer Dolmetscherin konnten Ärzte und Patient zunächst kommunizieren. Der heute optimistische und stabile junge Mann macht den Arzt sichtlich stolz. Ganz allein ist der Libyer in Berlin nicht. Er lebt mit Landsleuten in Charlottenburg, um nach der Genesung in seine Heimat zurückzukehren. »Es gibt viele libysche Verletzte in Berlin, dem einen fehlt ein Bein, dem anderen ein Arm«, sagt Mohamed Z. Die Folgen des Bürgerkriegs beschäftigen Berliner Ärzte schon seit Monaten. Allein in dem Grunewalder Akut- und Unfallkrankenhaus wurden laut Sprecherin Martina Conradt bislang etwa 40 Verletzte behandelt. Die Vivantes-Kliniken wollen insgesamt rund 100 Libyer aufnehmen. Die Kosten trägt jeweils die Übergangsregierung.
In Libyen ist an eine vergleichbare medizinische Versorgung nicht zu denken. Seit Februar 2011 sind die Helfer in Libyen im Einsatz und haben bisher mehr als 12 000 medizinische Behandlungen geleistet.
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