Grün oder giftgrün
Für die Weihnachtsbaumzucht wird oft viel Chemie eingesetzt - Bürger protestieren
Frankfurt am Main. Gerhard Schulte-Göbel schlägt von morgens bis abends Weihnachtsbäume - und hat bis zum 24. Dezember noch einige vor sich. »Echt grüne«, sagt der 71-jährige aus Schmallenberg im Sauerland. »Die sind dieses Jahr besonders gefragt.« Schulte-Göbels Blaufichten und Nordmanntannen haben ein Bio-Siegel - und sind damit selten in Deutschland.
Von Frühjahr bis Herbst läuft eine Schafherde durch seine 22 Hektar große Weihnachtsbaumkultur. Die 30 Tiere machen das, was im üblichen Weihnachtsbaum-Anbau durch Pflanzengift erledigt wird: Sie halten das Gras unter den Bäumen niedrig, so dass die Weihnachtsbäume auch unten Zweige bekommen. »So sieht es im Wohnzimmer eben am schönsten aus«, sagt der Baum-Bauer.
Nur 50 Öko-Höfe
Was seine Schafe nicht fressen, schneiden er und sein Sohn von Hand. Schulte-Göbel macht das seit mehr als 20 Jahren so. Sein Vater hatte davor Gift gegen die Gräser gespritzt. »Wie alle das machen«, sagt Schulte-Göbel. »Ich bin dann ins Grübeln gekommen, als ich die braunen Pflanzenreste sah, und mache es seitdem anders.« Und es lief von Anfang gut: »Wir besetzen eine Marktnische und verkaufen Bäume von Hamburg bis München.«
Tatsächlich ist der Weihnachtsbaumhof der Schulte-Göbels eine Ausnahme. »Es gibt gerade mal 50 Betriebe, die Öko-Weihnachtsbäume ziehen«, sagt Rudolf Fenner von der Umweltorganisation Robin Wood. Jedes Jahr werden in Deutschland zwischen 25 und 29 Millionen Weihnachtsbäume verkauft. »Die meisten davon stammen aus Deutschland«, sagt der Wald-Referent. Etwa zehn Prozent der Bäume kommen aus Nord- und Osteuropa. Und die wenigsten kommen aus dem Wald. »Die Bäume wachsen in riesigen Monokulturen.« Der Anteil der Bio-Bäume unter diesen Weihnachtsbaummassen ist verschwindend. »Von einem Prozent Marktanteil sind wir noch sehr weit entfernt«, sagt Fenner. Robin Wood stellt jedes Jahr eine Liste von Öko-Weihnachtsbaum-Verkäufern ins Internet. »Anders als beim Bio-Essen sind die Verbraucher noch nicht dafür sensibilisiert, was konventioneller Weihnachtsbaumanbau für die Natur bedeutet.«
In der Gemeinde Bestwig im Hochsauerlandkreis - dem deutschen Hauptanbaugebiet für Weihnachtsbäume - schließen sich seit einigen Wochen Bürger gegen die Weihnachtsbäume zusammen. Seit der Sturm Kyrill 2006 viele Wälder kahl fegte, sind zu den 19 000 Hektar Weihnachtsbaum-Fläche in Nordrhein-Westfalen noch 4000 Hektar dazu gekommen - vor der Haustür der Bestwiger. »Ich esse nichts mehr aus meinem Garten«, sagt Horst Funke. Seine Beerensträucher grenzen an eine Weihnachtsbaumkultur. »Ich sehe ja, wie sie Gift verspritzen.«
Warnung vor Glyphosat
Sein Nachbar Gerhard Scheidt hat zusammen mit anderen Anwohnern die Bürgerinitiative »Giftfreies Sauerland« gegründet. »Die Erde zwischen diesen Bäumen ist tot«, sagt Scheidt. »Wenn es regnet, kann alles abrutschen.« Und auch die chemischen Unkrautvernichtungsmittel machen den Bürgern Angst. Verwendet werden in der Weihnachtsbaum-Zucht vor allem Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat - wie weltweit in den meisten Landwirtschafts-Sparten. »Es gibt deutliche Hinweise, dass Glyphosat für Tier und Mensch krebserregend und fruchtbarkeitsschädigend sein kann«, sagt Steffi Ober vom Naturschutzbund Deutschland, der im April dazu eine Studie veröffentlichte. Der Weihnachtsbaum im Wohnzimmer sei für Verbraucher aber nicht gefährlich. »Das Mittel wurde ja durch Regen abgewaschen und der Baum wird nicht gegessen.« Der Stoff sei aber in der Umwelt.
Bei den stichprobenartigen Kontrollen sei jedoch nie etwas Gravierendes entdeckt worden, betont die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. »Es ist eben die günstigste Art, viele Weihnachtsbäume zu produzieren«, sagt Rudolf Fenner von Robin Wood. »Der Artenvielfalt schadet das enorm.« Und weil viele Hilfsmittel in den glyphosathaltigen Spritzmitteln noch unerforscht sind, fürchten die Sauerländer Bürger auch gesundheitliche Schäden. »Uns kommt auf keinen Fall solch ein Baum ins Haus«, sagt Gerhard Scheidt.
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