Schwierigkeiten mit der Geschichte

Empörung über Bad Kreuznacher CDU-Politiker

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einer abfälligen Bemerkung über die Benennung einer Straße nach einer Antifaschistin löste ein CDU-Abgeordneter in Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) einen Sturm der Entrüstung aus. Seine Partei jedoch schweigt zu der Entgleisung.

66 Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus tun sich manche konservative Kommunalpolitiker in der südwestdeutschen Provinz immer noch schwer mit einer Aufarbeitung der Geschichte und der Würdigung von Gegnern des Naziregimes. So löste im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach das CDU-Stadtratsmitglied Bernd Kossmann mit einer abfälligen Bemerkung über die Benennung einer Straße nach einer Antifaschistin einen Sturm der Entrüstung aus.

Nachhilfe für Kossmann

Die Diskussion füllt seit Tagen die Leserbriefspalten der Lokalpresse. Auslöser der Debatte war der Plan der örtlichen Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, Straßen in einem Neubaugebiet nach Söhnen und Töchtern der Stadt und Personen der Lokalgeschichte zu benennen. Dabei besann sich die Kulturdezernentin Andrea Manz (Grüne) auch auf den Namen Hildegard Schäfer. Die 1995 verstorbene Nazi-Gegnerin wurde 1940 von der Gestapo verhaftet, später in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt und 1945 von britischen Truppen in Neuengamme befreit.

Eine Straße in Bad Kreuznach nach Hildegard Schäfer zu benennen, das wollte Kossmann nicht einleuchten. Sein Vater habe schließlich auch Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht, ohne dass nach ihm eine Straße benannt werde, so Kossmanns Einwand in der Ratssitzung Ende November. Dies missfiel der Kulturdezernentin, die den Christdemokraten über den Unterschied zwischen Kriegsgefangenschaft von Befehlshabern und Soldaten der Hitlerarmee und der Internierung und Inhaftierung politischer Gefangener im KZ aufklärte. Die Bad Kreuznacher CDU und ihre bekannteste Repräsentantin, die CDU-Landes- und Fraktionschefin Julia Klöckner, schweigen hartnäckig zu der Entgleisung ihres Parteifreundes Kossmann.

Die 1918 als jüngstes Kind einer Bad Kreuznacher Arbeiterfamilie geborene Hildegard Schäfer war in christlichen Kreisen aufgewachsen und in den späten 1930er Jahren durch persönliche Erlebnisse zur Regimegegnerin geworden. Als sie 1940 auf der Suche nach Beschäftigung einen Arbeitsplatz in einem Rüstungsbetrieb angeboten bekam, lehnte sie ab. Weil ihr französischer Schwager in der französischen Armee kämpfe und ihr Bruder in der Wehrmacht, könne sie es nicht verantworten, Munition zu produzieren, mit der sich beide gegenseitig töten würden. Weil das Arbeitsamt diese Weigerung denunzierte, wurde Hildegard Schäfer sofort von der Gestapo verhaftet.

Im KZ Ravensbrück musste Hildegard Schäfer dann Zwangsarbeit leisten - auch für Siemens. Eine Entschädigung erhielt sie zeitlebens nie. Nach 1945 lebte sie jahrzehntelang zurückgezogen. Ihre Ehe blieb kinderlos. Erst in den 1980er Jahren brach sie nach einem Wiedersehen mit Leidensgenossinnen aus der Lagergemeinschaft Ravensbrück ihr Schweigen.

Unermüdliche Mahnerin

So wurde Hildegard Schäfer in ihrem letzten Lebensjahrzehnt zur unermüdlichen Mahnerin gegen alten und neuen Faschismus und gegen Kriegstreiberei. Sie engagierte sich als Kreisvorsitzende der VVN-BdA, besuchte als Zeitzeugin Schulklassen, Veranstaltungen, Seminare und Kundgebungen. »Wenn ich nicht mehr da bin, dann müsst ihr das machen«, lautet der Titel eines Dokumentarfilms mit vielen O-Tönen.

Ende Januar 2012 tritt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejerano, die mit Hildegard Schäfer in deren letzten Lebensjahren befreundet war, zusammen mit der antifaschistischen Hip-Hop-Band Microfone Mafia in Bad Kreuznach auf. Dann soll Benennung der Hildegard-Schäfer-Straße gefeiert werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -