Fachkräftemangel ist selbst verschuldet

Ingenieure aus Süd- und Osteuropa sollen Lücken füllen

  • Wolfgang Kühn
  • Lesedauer: 3 Min.
Überall heißt es, Deutschland sei gut durch die Wirtschaftskrise gekommen. Die Auftragsbücher der Industrie sind voll, die Wirtschaft beklagt einen Fachkräftemangel. Doch der ist hausgemacht.

Es mag tatsächlich für manche Berufe und Standorte, beispielsweise Elektroinstallateure in Schweinfurt, einen vorübergehenden Fachkräftemangel geben, aber aus einer derart singulären Erscheinung kann keineswegs auf einen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland geschlossen werden.

Dazu genügt bereits ein Blick in die gegenwärtige Arbeitslosenstatistik nach Berufsgruppen mit dem Stand 30. 6. 2011. Nur ein Bruchteil der 2,8 Millionen registrierten Arbeitslosen ist ohne Berufsausbildung. Zwar gibt es 255 000 arbeitslose Verkäufer und 122 000 arbeitslose Köche, aber ebenso 31 000 Techniker und 24 500 Ingenieure, Chemiker, Physiker und Mathematiker suchen nach einer Arbeitsstelle. Dieses große Angebot an zweifellos qualifizierten Kräften blieb bisher ungenutzt, und die nachgewiesenen Verbesserungen der vergangenen zwölf Monate im Bestand dieser qualifizierten Arbeitslosen verrät, dass bei dem gegenwärtigen Tempo des Abbaus von Arbeitslosigkeit in diesen Berufsgruppen noch mehrere Jahre gebraucht werden, um das Ausmaß von Unterbeschäftigung von gut ausgebildeten Fachkräften zu beseitigen.

Nicht zu unterschlagen ist in diesem Zusammenhang, dass durch die kurzsichtige Politik der politischen und wirtschaftlichen Eliten in der Bundesrepublik in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten ein hausgemachter Mangel an Fachkräften entstanden ist. 15 Jahre hatte man Zeit, die Folgen des drastischen Geburtenknicks in den neuen Bundesländern Anfang der 1990er Jahre für den heutigen Arbeitsmarkt durch eine kluge Bildungspolitik zu mildern. Das Gegenteil war der Fall. Jährlich beenden etwa 70 000 junge Menschen in der Bundesrepublik ihre schulische Ausbildung ohne einen Abschluss. Hinzu kommt, dass selbst für die sich verringernden Zahlen von Bewerbern jährlich 60 000 bis 80 000 Ausbildungsplätze fehlten. Ebenso prekär war und ist die Situation bei der Universitäts- und Hochschulausbildung. Nur ein Drittel eines Altersjahrgangs beginnt in der Bundesrepublik mit einem Universitäts- bzw. Fachhochschulstudium. Das ist im internationalen Vergleich bereits ein relativ niedriger Wert, der Mittelwert aller OECD-Staaten liegt bei 56 Prozent. Ein Viertel aller Studierenden in der Bundesrepublik haben in den vergangenen Jahren ihr Studium vorzeitig abgebrochen, überdurchschnittlich hohe Abbruchsquoten gab es in den Fächern Physik und Geowissenschaften (36 Prozent) und Chemie (31 Prozent). So werden volkswirtschaftlich teure Potenziale regelrecht vergeudet. Die langjährige Bildungsministerin Anette Schavan (CDU) kann jede Verantwortung für diese Zustände von sich weisen, denn Bildung ist gemäß Grundgesetz Ländersache.

Da die reiche Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, ihre Hausaufgaben bei der Ausbildung der jungen Generation vernünftig und rationell zu bewältigen, soll nun das Ausland in die Pflicht genommen werden. Ausländische Fachkräfte sollen für das Versagen der hiesigen Bildungspolitik für deutsche Unternehmen abgeworben werden. Dabei denkt man nicht an Experten aus den USA, Kanada oder der Schweiz - die sind nämlich zu teuer -, sondern an Experten aus Ost- oder Südeuropa. Das hat den Vorteil, das Lohnniveau auch der höher qualifizierten Mitarbeiter in der Bundesrepublik weiter niedrig zu halten.

Der zweite Vorteil besteht darin, dass so die Ausbildungskosten für diese Arbeitskräfte gespart werden. Hier zeigt sich zugleich die Kurzsichtigkeit der deutschen Eliten: Wenn unsere EU-Partner in Ost- und Südeuropa auf ihre Fachkräfte verzichten sollen, um in der Bundesrepublik zu arbeiten, wie soll dann dort der bestehende Rückstand in der wirtschaftlichen Entwicklung aufgeholt werden, wenn die dazu erforderlichen Fachkräfte entzogen werden? Die Folgen: Die Ungleichgewichte in der EU werden nicht nur finanziell, sondern auch wirtschaftlich wachsen und neue Widersprüche in der Staatengemeinschaft entstehen.

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