»Genug!« ist noch keine Alternative

Widerstand gegen Ungarns faktische Einparteienherrschaft deckt breites politisches Spektrum ab

  • Zsuzsanna Horváth, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.
»Es wird wieder eine Ungarische Republik geben« war das Motto der politisch bunt gemischten Kundgebung auf der Andrássy-Straße vor der Budapester Oper am 2. Januar. Drinnen wurde derweil die neue Verfassung gefeiert, die das Land einfach zu »Ungarn« - ohne den Zusatz »Republik« - erklärt. Den Demonstranten ging es jedoch um mehr als einen Namen.

Zivile Organisationen nahmen an der Protestdemonstration ebenso teil wie die grüne Parlamentspartei LMP (»Politik kann anders sein«), die frühere sozialistische Regierungspartei MSZP und die Partei der Demokratischen Koalition (DKP), die sich unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány vor einigen Monaten als neue Partei der Mitte von den Sozialisten abgespalten hat. Die Organisatoren hatten jedoch auf Politikerreden verzichtet, um die demonstrative Einheit der Opposition gegen die neue Verfassung nicht zu gefährden.

Was die Politik im eigenen Land und das spannungsreiche Verhältnis Ungarns zu »Europa« betrifft, deckten die an dem Protest beteiligten Gruppen ein breites politisches Spektrum ab. Die DKP bekennt sich in ihrer Grundsatzerklärung im Gegensatz zu den »orientalischen« Tendenzen der Orbán-Regierung zur »westlich gefärbten bürgerlichen Demokratie« und zur NATO. Seite an Seite mit der MSZP will sie im Parlament für den »Schutz der Bankeinlagen« der Bevölkerung eintreten, die sie gefährdet sieht, weil die neuen Bestimmungen die Unabhängigkeit der Ungarischen Notenbank einschränken würden. Die LMP betont, die unverantwortliche Wirtschaftspolitik der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Liberaler) mache das Land nicht unabhängiger, sondern liefere es den internationalen Finanzmärkten aus und führe in den Bankrott.

Ganz andere Schwerpunkte setzen die verschiedenen Zivilorganisationen. Die Ungarische Bewegung Solidarität kämpft unter starker Betonung der gesellschaftlichen Selbstorganisation nicht nur für Demokratie und Menschenrechte, sondern ausdrücklich auch für Arbeitnehmerrechte und existenzsichernde Einkommen. Die »Szolidaritás«, die über eine breit gefächerte politische Basis verfügt, betreibt in Anlehnung an den Systemwechsel vor mehr als zwei Jahrzehnten die Schaffung eines »Oppositionellen Runden Tisches«. In einem Interview mit der Tageszeitung »Nép-szabadság« rief Initiator Tamás Székely aber zu Bedacht und Umsicht auf. Es sei verfrüht, von einer »Koalition der Andrássy-Straße« zu sprechen. An den oppositionellen Runden Tisch gehören für Székely außer Bürgern und Parteien auch Gewerkschaften, Organe der gesellschaftlichen Selbstverwaltung und Kirchenführer. Der Wirtschaftskrise will er durch eine »demokratische Alternative« Herr werden, und er hofft auf ein besseres internationales Urteil über Ungarn, wenn sich die »verantwortungsbewusste« Opposition im Lande selbst kräftig entfaltet.

Die neueste zivile Bewegung wurde auf einer Kundgebung gegen das Ende der »dritten« Ungarischen Republik am Abend des 31. Dezember ins Leben gerufen. Initiator der Bewegung »Saubere Hände« (Tiszta kezek) ist eine Koalition gegen die sich zuspitzende Korruption der Medien.

Einer der Redner dieser Kundgebung war der ursprünglich aus dem liberalen Lager stammende linke Philosoph und nd-Autor Gáspár Miklós Tamás. Er betonte die Notwendigkeit, den Rechtsstaat zu verteidigen, und unterstrich zugleich, dass diese Aufgabe der ungarischen Gesellschaft selbst zufalle. Diese ebenso knappe wie eindeutige Antwort gab er auch, als ihn ein österreichischer Radioreporter fragte, ob sich die EU in die ungarischen Probleme mit der Demokratie einmischen solle oder nicht.

Die demokratische Linke einschließlich der Bewegung Vierte Republik, kurz 4K!, die sich zu einer »neuen linken« Partei umformen will, betont ebenfalls die Notwendigkeit einer umfassenden Alternative zur faktischen Einparteienherrschaft unter Viktor Orbán (siehe nebenstehenden Beitrag).

Welche Rolle diese Kräfte in den Auseinandersetzungen der kommenden Monate spielen werden, ist angesichts der eruptiven Bewegungen in der ungarischen Politik kaum abzuschätzen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist zudem das Verhältnis der demokratischen Opposition zur extremen Rechten, die in Gestalt der Partei Jobbik im Budapester Parlament vertreten ist. Die Kundgebung am 2. Januar versuchten diese Kräfte mit unflätigen Beschimpfungen und tätlichen Übergriffen zu stören.

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