Unredlich und hanebüchen

Das hat Ernst Thälmann nicht verdient - Ein neues Buch von Eberhard Czichon und Heinz Marohn

  • Theodor Bergmann und Mario Keßler
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer befleckt, wer reinigt Thälmann?
Wer befleckt, wer reinigt Thälmann?

In den letzten Monaten ihrer Terrorherrschaft haben die deutschen Faschisten noch viele Todesurteile gefällt. Ernst Thälmann, letzter Vorsitzender der KPD vor 1933, am 18. August 1944 in Buchenwald hingerichtet, ist als eines der wehrlosen und standhaften Opfer zu ehren.

Nach ihrer zweibändigen Thälmann-Biografie haben nun Eberhard Czichon und Heinz Marohn, zusammen mit dem Verleger Wiljo Heinen, einen Sammelband herausgegeben, der Beiträge von 20 Autoren und zwei Autorinnen (Margot Honecker und die DKP-Vorsitzende Bettina Jürgensen) abdruckt, darunter von lange verstorbenen Prominenten (Johannes R. Becher, Willi Bredel, Fritz Heckert, Heinrich Mann, Martin Andersen-Nexö, Wilhelm Pieck, Romain Rolland, Arnold Zweig u.a.). Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt einzig die Studie des Rechtsanwalts Ralph Dobrawa, die zeigt, wie kaltschnäuzig die westdeutsche Justiz die Bestrafung der Mörder Thälmanns solange hintertrieb, bis niemand mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Die übrigen Beiträge sind voll des Lobes für den überragenden Führer, der die KPD von Erfolg zu Erfolg führte. Die historische Mitschuld der Partei an der Niederlage und beinahe kampflosen Kapitulation der Arbeiterbewegung 1933 wird ausgespart, vor allem die unerbittliche Frontstellung gegen die Sozialdemokraten, die als »Sozialfaschisten« und »kleine Zörgiebels« diffamiert wurden. Clara Zetkins Kritik an Thälmann wird im Buch ebenso verzerrt bzw. unterschlagen wie die gemäßigtere Kritik von Gerhart Eisler oder Arthur Ewert.

Der mit Abstand längste Beitrag von Czichon und Marohn trägt den Titel »Die Fortschreibung der Antikomintern des Goebbels-Ministeriums«. Hier sei nicht primär die wissenschaftliche Unsauberkeit, die als Ungenauigkeit verstanden werden kann, kritisiert, wenngleich zumindest drei Beispiele genannt werden müssen: Hans Kippenberger ist eben nicht 1937 in Moskau »gestorben«; er wurde am 16. Januar 1937 zum Tode verurteilt und am 3. Oktober hingerichtet. Das »Programm zur sozialen und nationalen Befreiung des deutschen Volkes« der KPD wird von den Autoren im Titel falsch zitiert, und deren Inhalt wird nicht kritisch hinterfragt. Schließlich unterstellen Czichon/Marohn der Witwe des gleichfalls in Moskau umgebrachten Heinz Neumann, sie sei »mit Hilfe der deutschen Botschaft 1938 nach Deutschland überführt« worden. Dadurch lügen sie einen schmutzigen Handel zwischen NKWD und Gestapo (Auslieferung deutscher Emigranten an die Nazis) zu einer »normalen« Aktion um. Margarete Buber-Neumann überlebte Ravensbrück knapp. So viel nur zu den vielen Verfälschungen, Verharmlosungen und Inkorrektheiten.

Was aber bedeutet der Titel »Fortschreibung der Antikomintern des Goebbels-Ministeriums«? Die rüden Attacken gegen den Mannheimer Historiker Hermann Weber, Nestor der westdeutschen Kommunismusforschung, sollen hier einmal unkommentiert bleiben. Denn Hauptangriffsziel sind angebliche »DDR-Renegaten« und in Sonderheit Klaus Kinner, Mitglied und langjähriger Vorsitzender der Historischen Kommission der PDS bzw. der Linkspartei. Die Feststellung der unleugbaren Abhängigkeit der KPD von der Sowjetführung, die Czichon/Marohn leugnen, sei eine »Grundvoraussetzung« von Methodik und »Ingredienz antikommunistischer Geschichtspropaganda« der »Renegaten vom Schlage Kinners« geworden. Nebenbei wird von den Autoren die Rosa-Luxemburg-Stiftung als vom bürgerlichen Staat BRD finanzierter und damit gekaufter Cliquenverein diffamiert.

Mit Häme suchen Czichon und Marohn sodann Kinner gegen Kinner auszuspielen. 1982 habe er in seinem Buch über die Geschichtspolitik der KPD richtige Ansichten vertreten, die er heute »bußfertig« verdamme. In der Tat hat der Gescholtene, neben richtigen Dingen, damals Meinungen geäußert, die sich als unhaltbar erwiesen. Doch schon vor 1989 hat er in Leipzig versucht, geistige Blockaden abzutragen, weshalb ihm, nach Czichon und Mahron, der »Ludergeruch des Antikommunismus« anhafte. Doch damit nicht genug der Infamie.

Als Kinners Inspirator nennen sie den Nazi-Blutrichter und SA-Sturmführer Eberhard Taubert, der - wie Czichon und Marohn aus der Arbeit von Mathias Friedel über Taubert wissen - nicht nur der Antikomintern-Abteilung im Goebbels-Ministerium vorstand, sondern auch das Drehbuch für den Hetzfilm »Der ewige Jude« geschrieben hat und Beisitzer an Roland Freislers »Volksgerichtshof« war. Czichon/Marohn rücken den kritisch-marxistischen Historiker Kinner also in die Nähe eines Nazimörders und Judenhassers. Dies ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern unredlich und hanebüchen. Sozialistische Kritik an Thälmann und der KPD wird mit Nazipropaganda und Mörderjustiz gleichgesetzt. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob Dummheit, Verbohrtheit oder charakterliche Niedertracht zu solchen Behauptungen veranlassten. Sie können jedenfalls nicht unwidersprochen bleiben. Zudem: Ernst Thälmann verdient es, gegen falsche Freunde, die sich als »Verteidiger« aufschwingen, verteidigt zu werden.

Eberhard Czichon/Heinz Marohn/Wiljo Heinen (Hg.): Aber ich glaube an den Triumph der Wahrheit. Ernst Thälmann zum 125. Geburtstag. Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2011. 239 S., br., 12 €.

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