Wohin mit den Resten?
Eines muss man den Freien Demokraten attestieren: Geschwind sind sie, schneller als die anderen staatstragenden Parteien - jedenfalls im Auswechseln der Leistungsträger. Normalverbraucher des Politikangebotes haben inzwischen Schwierigkeiten, sich die Namen des FDP-Spitzenpersonals zu merken. Und vielen bisherigen Interessenten dieser Partei wird es bei diesem Tempo schwindlig, die Umfragewerte zeigen es an. Fehlt es den Liberalen schlicht an den richtigen Anführern, alles nur ein Mangel an freidemokratischen Profis im Politikbusiness?
In der Altbundesrepublik hatte die FDP über Jahrzehnte hin einen ziemlich sicheren Platz als Mehrheitsbeschafferin für die eine oder die andere der beiden großen »Volksparteien«, sie konnte infolgedessen zumeist damit rechnen, per Minderheitsbeteiligung mitzuregieren. Wenn sie mit der CDU/CSU eine Koalition einging, erwartete ihre Wählerschaft, dass konservative Antriebe ein wenig gemäßigt würden; regierte die FDP zusammen mit der SPD, erhofften ihre Wähler, dass so die Gewerkschaftsfreundlichkeit der Sozialdemokraten gezügelt werden könne. Und beides bestätigte sich: Kam es zu einem schwerwiegenden Konflikt im jeweiligen Regierungsbündnis, bahnte die FDP den Partnerwechsel an. Als Ausweg blieb den Unionsparteien und der SPD eine Große Koalition. Da diese stets auch Unbehagen beim Publikum und bei den beteiligten Parteien selbst hervorrief, wurde die FDP nicht überflüssig, sie befand sich dann in Wartestellung, bei nächster Gelegenheit würde sie wieder regierend mitmischen können.
Das waren schöne Zeiten für die Freien Demokraten - aber sie sind Vergangenheit. Eine Ironie der Geschichte: Der Niedergang der FDP begann mit ihrem kurzzeitigen Aufstieg hin zum »volksparteilichen« Gipfel. Im Zuge des Untergangs der DDR vermehrte die FDP ihren Mitgliederbestand durch Einverleibung der LDPD (und weiterer ostdeutscher politischer Gruppierungen), da kam freidemokratische Euphorie auf. Und zu gleicher Zeit wurde der Neoliberalismus zur weltanschaulichen Mode, es schien so, als könne der »Markt« die Mehrheit der Bevölkerung in den Stand der »Besserverdienenden« hinaufbefördern. Da lag es nahe, sich die FDP als kommende Großpartei auszumalen. Steuersenkung, Privatisierung, Deregulierung, alle Staatsbürger als unternehmerische Lebewesen - das waren doch ureigene Politikmuster der FDP, und wenn die Unionsparteien wie auch die SPD sich nun auf diesen Trip begaben, warum sollte nicht mehr noch die liberale Partei davon profitieren?
Daraus ist nichts geworden. Die FDP, die immer auf ihre »Wirtschaftsnähe« pochte, sich selbstzufrieden »Marktkompetenz« zuschrieb, hatte falsch spekuliert. Der ökonomische Sachverstand, den sie für sich reklamierte, war gar nicht vorhanden. Die weltweiten Finanzkrisen machten aus den programmatischen Entwürfen der Freidemokraten Papiermüll, und selbst die ideologischen Produkte des Neoliberalismus kommen nicht mehr gut an. Die Großunternehmen und Finanzinstitute wollen alles andere als einen »Rückzug des Staates«, wie ihn die FDP propagierte, sie brauchen staatliche Macht zum Vollstrecken ihrer Interessen. Die Bundeskanzlerin hat das begriffen, sie agiert so, wie die kapitalistischen Grundregeln es gegenwärtig erfordern; die Sprüche ihres FDP-Wirtschaftsministers wirken demgegenüber skurril.
Außerdem hat sich der Parteienmarkt erweitert, die Grünen (vielleicht demnächst auch die Piraten) sind längst »regierungsfähig«, prinzipiell auch als Koalitionspartner der Union. Wenn eine große Partei eine kleinere zum Mitregieren benötigt, ist sie nicht mehr auf die FDP angewiesen. Und wenn es um Stimmen und Spenden geht: Ein Mittelständlerschreck sind die Grünen längst nicht mehr, Unternehmer sind zunehmend bereit, sie zu sponsern.
Eine Traditionspartei verschwindet nicht plötzlich von der politischen Bühne. Aber sie kann sich selbst zerlegen, ihren Boden verlieren. Wohin mit den Resten?
Der innerparteiliche Konflikt um die »Euro-Union«, bei dem die regierungsfromme Linie in der FDP sich nur knapp behaupten konnte, zeigt an, was da denkbar ist. In etlichen europäischen Ländern sind Parteien erfolgreich, die Kritik am »Moloch Staat« mit nationalistischem Ressentiment und Polemik gegen »Überfremdung« verbinden. Die österreichische »Freiheitliche Partei« bewegt sich schon lange auf diesem Kurs. Man wird davon ausgehen müssen, dass eine solche Mischung von Marktradikalismus und rechtspopulistischen Weltbildern auch in Deutschland eine ansehnliche Gefolgschaft finden kann - vorausgesetzt, sie präsentiert sich nicht sektiererisch.
Einige bisherige Versuche dieser Art sind durch eigenes Ungeschick stecken geblieben. Eine zerfallende FDP aber könnte Baumaterial liefern für die Konstruktion einer rechtsgerichteten »Freiheitlichen Partei Deutschlands«. Frei von nationalistischen Tendenzen war die FDP nie. Friedrich Naumann, der historische Namensgeber der FDP-Parteistiftung, war ein »freisinniger« Verfechter der »deutschen Sendung« für den europäischen Raum. Es müsste ihm nur noch, damit eine FPD zeitgemäß auftreten kann, Thilo Sarrazin beigegeben werden.
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