»Dit sind allet Kommunisten hier!«
Bei strahlendem Sonnenschein fand die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration statt
Zahlreiche rote »Edelnelken« standen gestern im Berliner Stadtbezirk Lichtenberg zum Verkauf: ein Euro das Stück, für sieben Euro kriegt man zehn. Sonderangebot. Auch Tulpen und Rosen sind im Angebot. Falls die Nelken nicht reichen. Doch auch an einem Tag wie dem gestrigen ist es der alljährlich durch den Stadtteil führenden Luxemburg-Liebknecht-Demonstration nicht gelungen, die Gesetze des Schnittblumenmarktes außer Kraft zu setzen: Je näher der von roten Parteifahnen umwehte Demonstrationszug, an dem Tausende Menschen teilnahmen, der Grabstätte der Sozialisten kam, desto billiger wurde die Ware: 90 Cent, 80 Cent. Wenn der Markt gesättigt ist, sinken die Preise.
Die Demonstration ist zu einem Ritual, einem Ort der Traditionspflege geworden, an dem Alt und Jung zusammenkommen. Was sich auch darin bemerkbar macht, dass alle in musikalischer Hinsicht auf bewährtes Liedgut zurückgreifen. Es sind die bekannten Weisen, die allerorts erklingen und sich mit allerlei gebetsmühlenartig repetierten Sprechchören zu einem polyphonen Klangbrei vermischen: Angestimmt werden das »Arbeitereinheitsfrontlied« und »Bella Ciao«, während nur einige Meter entfernt ein Evergreen der Band »Ton, Steine, Scherben« aus den Lautsprechern rumpelt: »Die rote Front / Und die schwarze Front / Sind wir!« Man möchte Erbauliches hören, zu dem gut die Faust geballt werden kann.
Auch in diesem Jahr will keiner, dass auf dem stets umkämpften Feld der politischen Agitation ausgerechnet sein Presseorgan unberücksichtigt bleibt in der Masse des bedruckten Papiers, das großzügig an alle verteilt wird. Nicht nur eine Publikation wie der »Rote Morgen«, auch der »Spartakist« und der »Bolschewik« wollen gelesen werden. Eine kleine Delegation der FDJ, heuer ohne Blauhemden erschienen, schwingt ihre Fahnen und skandiert: »Für den deutschen Staatsbankrott!«
Jeder hat hier der Allgemeinheit eine dringliche Mitteilung zu machen, wünscht, seine politische Botschaft unters Volk zu bringen, und trägt sie entsprechend lautstark vor. Und jeder hält seine Methode, wie die sozialistische Weltrevolution zu bewerkstelligen sei, für die einzig gelingende. Während das eine Grüppchen, sein Transparent wie ein überdimensioniertes Heiligenbildchen vor sich hertragend, unbeirrt eine eher nostalgische Linie zu befürworten scheint (»Viva Lenin, Stalin, Mao!«) , ist eine andere Gruppe, die sich aus jungen Demonstranten zusammensetzt, sehr darum bemüht, ihr politisches Glaubensbekenntnis in so vereinfachter Form darzulegen, dass alle es verstehen können (»Volk, Nation, Kapital - Scheiße!«).
Ein paar in schickes Schwarz gekleidete Jungrevolutionäre trinken im Sonnenschein entspannt ihr sonntägliches Frühstücksbier. Eine am Straßenrand stehende Dame wird von ihrer sich im Vorschulalter befindenden Tochter gefragt, worum es sich bei dieser Veranstaltung handele. »Dit sind allet Kommunisten hier«, lautet die ebenso knappe wie eindeutige Auskunft der Mutter.
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