Deutsch!
Standpunkt von Hans-Dieter Schütt
Wahrheit siegt nicht, sie formuliert nur um. Von Zeitenwechsel zu Zeitenwechsel. Das ist das deutsche Perpetuum mobile der Geschichtsschreibung: Ohne Unterlass und wie von selbst entledigt sich der öffentliche Raum aller unliebsamen Erinnerungsstützen. Und unliebsam ist, was vom Widerspruch in den Geschichtsläufen berichtet und also nicht nur die momentane Herrschaft singt. Daher soll nun auch den steinernen Zeit-Zeugen Marx und Engels, im Zentrum Berlins, wieder der Strick des Abtransports um den Hals gelegt werden. Fortsetzung einer weiteren Unfrieden stiftenden Art Befriedung: Friede den Palästen, wenn sie keine der Republik sind.
Man fahre in die Schweiz, nach England, Frankreich, besuche die Aufenthaltsorte von Lenins Emigrationen, schaue sich Simbirsk, seine Geburtsstadt und Stätten an, die mit seinem Revolutionsfuror verbunden sind: Diesem wahrlich verhängnisreichen Furor antwortete, da er durch Geschichte erledigt wurde, keineswegs der Eifer der Spurenvernichtung. Geschichte, oder was von ihr blieb, darf uns ansehen. Museen, Requisiten, Tafeln: Erzählung ist deren Auftrag, nicht Strafe, Verachtung.
In Deutschland jedoch hat es seinen unguten Grund, dass Vergangenheitsbewältigung ein so rüde und rege hergezerrtes Wort ist: Es wird hier alles, was abgeschafft, überwunden wurde, mit Heißhass bewältigt, ja überwältigt. Nur nichts Unbegradigtes! Das deutsche Reinheitsgebot macht geradezu besoffen. Und hinterlässt, wo es ungehemmt praktizieren darf, leere Köpfe, öde Herzen und ein volksweit vergiftetes Gedächtnis.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.