Arbeit mini, Armut maxi

7,3 Millionen sind »Minijobber«, fast 90 Prozent arbeiten zu Niedriglöhnen

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehrere neue wissenschaftliche Studien kommen zum Ergebnis: Minijobs sind ein arbeitsmarktpolitischer »Irrweg«.

Was aus dem Staat Europas, der einst gerühmt wurde für seinen Wohlstand und sein Sozialsystem, geworden ist, kann man einer Feststellung wie der folgenden entnehmen: »Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass heute ein Paar von seinem gemeinsamen Haushaltseinkommen leben kann.« Dorothea Voss von der Hans-Böckler-Stiftung, die gestern die Ergebnisse dreier neuer Studien zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland bekannt gab, nennt auch ein Beispiel: Selbst wenn bei einem Ehepaar mit Kindern, das ALG II bezieht und aus der Erwerbslosigkeit herausmöchte, beide Partner »Minijobs« annehmen, bleiben sie oft auf ALG II angewiesen.

Jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis ist heute ein sogenannter Minijob, ein ungesicherter Job mit geringem Lohn. Insgesamt gibt es davon 7,3 Millionen, fast 90 Prozent der Minijobber arbeiten zu Niedriglöhnen. Für fast fünf Millionen Menschen ist es die einzige Erwerbstätigkeit. Minijobs wurden zu dem Zweck eingeführt, eine »Brückenfunktion« einzunehmen. Ursprünglich sollte damit Menschen dazu verholfen werden, langfristig wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, also in ein unbefristetes, sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu gelangen.

Doch das »kommt praktisch so gut wie nie vor«, wie Alexander Herzog-Stein feststellt, Experte für Arbeitsmarktforschung bei der Hans-Böckler-Stiftung. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse der Wissenschaftler, dass das genaue Gegenteil eingetreten ist: Das Beschäftigungsmodell führt zur Ausweitung des Niedriglohnsektors. In schlecht bezahlten Branchen wie dem Gastgewerbe, der Gebäudereinigung und dem Bäckerhandwerk etwa wurden durch Minijobs die Löhne weiter gesenkt: Arbeitgeber umgehen gesetzliche Bestimmungen und nutzen den Minijob als »Steigbügel zur Personalkostensenkung«, wie Dorothea Voss erklärt. »So entsteht eine dauerhafte zweite Entgeltstruktur mit niedrigeren Löhnen«, die eine fortgesetzte »Lohndiskriminierung« nach sich ziehe.

Dass dieselbe Tätigkeit völlig unterschiedlich entlohnt wird, je nachdem, ob man sich in einer Vollzeitbeschäftigung befindet oder einem Minijob nachgeht, ist nicht unüblich, wenn auch ungesetzlich. Drei Viertel der in Minijobs Beschäftigten verdienen weniger als 8,50 Euro in der Stunde, also weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Stundenlohns in einem Normalarbeitsverhältnis. Hinzu kommt, dass in diesem Sektor vielfach Arbeitnehmerrechte nicht gewährt werden und soziale Standards nach und nach verschwinden. Wo es keinen Betriebsrat gibt, gibt es irgendwann auch keine Rechte mehr.

Und: »Je länger man in seiner Erwerbslaufbahn in Minijobs und ähnlich unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeitet, desto schwerer ist es, in eine Vollzeittätigkeit zurückzufinden«, sagt Herzog-Stein. »Für Frauen ist der Minijob schon fast die Regel.« Betroffen sind über drei Millionen Frauen, meist sind sie jung und in »prekären Erwerbsverläufen«, gehen also in der Regel keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach: Von der Elternzeit taumeln sie in den Teilzeitjob, von dort in den Minijob und hernach in die Arbeitslosigkeit und in die Armut.

Für viele von ihnen ist der Minijob kein Zuverdienst, sondern existenznotwendig: Sie bestreiten ihr Dasein oft ohne einen sozial abgesicherten Partner und haben ein »weit unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen«, so Christina Klenner, Expertin für Genderforschung bei der Böckler-Stiftung. »Das ist desaströs für die Gleichstellung der Geschlechter.« Auch sind »prekäre Erwerbsverläufe« in Ostdeutschland weitaus mehr verbreitet als im Westen. Im Jahr 2009 bekam etwa ein Minijobber im Westen weniger als 9,76 Euro brutto pro Stunde, im Osten dagegen weniger als 7,03 Euro. Den Wissenschaftlern zufolge wurden hier nur Menschen berücksichtigt, für die der Minijob die Haupttätigkeit ist.

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