Die Vor- und Nachteile der Familienpflegezeit

Fragen & Antworten

  • Lesedauer: 6 Min.
Seit dem 1. Januar 2012 können Arbeitnehmer durch Verkürzung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit eine Familienpflegezeit für maximal zwei Jahre in Anspruch nehmen (siehe dazu auch nd-ratgeber vom 30. November 2011). Die Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Berlin-Brandenburg, SABINE FISCHER-VOLK, beantwortet nachfolgend wichtige Fragen Betroffener.

Wer kann Familienpflegezeit in Anspruch nehmen?

Die Familienpflegezeit bietet für Arbeitnehmer mit pflegebedürftigen nahen Angehörigen die Möglichkeit, diese über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren zu Hause zu pflegen, wenn der medizinische Dienst oder die Pflegekasse die Pflegebedürftigkeit nachweislich bestätigt hat. Die Familienpflegezeit kann nur genutzt werden, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Ein gesetzlicher Anspruch besteht nicht. Sie kommt zudem nur für Arbeitnehmer ohne nicht versicherbare Gesundheitsrisiken in Frage, da ansonsten die gesetzlich vorgeschriebene Familienpflegezeitversicherung nicht abgeschlossen werden kann.

Wie kann man Familienpflegezeit in Anspruch nehmen?

Die Familienpflegezeit können Arbeitnehmer durch Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu einem Mindestumfang von 15 Stunden für die Dauer von höchstens zwei Jahren bei gleichzeitiger Aufstockung des Arbeitsentgeltes durch den Arbeitgeber in Anspruch nehmen. Bei unterschiedlichen wöchentlichen Arbeitszeiten oder einer unterschiedlichen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit darf diese im Durchschnitt eines Zeitraums von bis zu einem Jahr 15 Stunden nicht unterschreiten. Wird die Mindestarbeitszeit aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Bestimmungen unterschritten, kann keine Familienpflegezeit in Anspruch genommen werden. Die Unterschreitung des Mindestumfangs von 15 Stunden auf Grund der Einführung von Kurzarbeit ist dagegen zulässig.

Wie hoch ist der Arbeitsverdienst während der Familienpflegezeit?

Um die mit der Reduzierung der wöchentlichen Stundenzahl verbundenen Einkommenseinbußen abzumildern, werden Wertguthaben genutzt. Das Arbeitsentgelt wird um die Hälfte der Differenz zwischen dem bisherigen Bruttoarbeitsentgelt und dem sich durch die Arbeitszeitreduzierung ergebenden geringeren Arbeitsentgelt aufgestockt. Vereinbart beispielsweise ein Vollzeitbeschäftigter eine Verringerung seiner Arbeitszeit auf 50 Prozent, erhält er in der Pflegezeit 75 Prozent seines vorherigen Gehaltes. Die Entgeltaufstockung um 25 Prozent geht zulasten eines Wertguthabens, das der Beschäftigte nach der Familienpflegezeit in der sogenannten Nachpflegephase auffüllt. Nach Beendigung der Pflegezeit wird für das gleiche Geld im alten Umfang gearbeitet, bis das Wert- oder Arbeitszeitguthaben wieder ausgeglichen ist.

Kann man die Familienpflegezeit mehrmals beantragen?

Sie kann unbegrenzt oft beantragt werden. Eine erneute Familienpflegezeit setzt allerdings voraus, dass das Wertguthaben-Konto der vorherigen Pflegezeit, also der Gehaltsvorschuss, in der Nachpflegezeit ausgeglichen wurde. Bei einer Familienpflegezeit mit einer Dauer von zwei Jahren kann erst nach weiteren zwei Jahren eine weitere Familienpflegezeit beantragt werden.

Was ist zu tun, wenn der zu pflegende Angehörige auch nach Ablauf von zwei Jahren noch pflegebedürftig ist?

Eine Verlängerung der Familienpflegezeit ist nicht möglich. In diesem Fall kann aber auch ein anderes Familienmitglied versuchen, mit seinem Arbeitgeber eine Familienpflegezeit für nahe Angehörige zu vereinbaren. Nach dem bereits ab 1. Juli 2008 geltenden Pflegezeitgesetz kann außerdem bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Pflegezeit von maximal sechs Monaten in Anspruch genommen werden.

Was passiert, wenn der Pflegebedürftige vor Ablauf der Familienpflegezeit von zwei Jahren verstirbt oder in einem Heim betreut wird?

Endet die vereinbarte Pflegezeit vorzeitig kraft Gesetzes, weil der Pflegebedürftige verstorben ist oder künftig stationär betreut wird, muss der Arbeitgeber des pflegenden Angehörigen unverzüglich darüber informiert werden. Die förderfähige Pflegezeit endet in diesen Fällen mit Ablauf des zweiten Monats nach Eintritt der veränderten Umstände. Der Arbeitnehmer muss dann seine ursprüngliche Arbeitszeit wieder aufnehmen. In allen anderen Fällen wie beispielsweise bei einer schweren Erkrankung des pflegenden Arbeitnehmers müsste nach Auffassung der Verbraucherzentrale Brandenburg das gleiche gelten. Ein anderes Familienmitglied könnte dann einspringen und zeitnah mit seinem Arbeitgeber eine Familienpflegezeit vereinbaren. Leider enthält das neue Gesetz dazu keine klaren Regelungen.

Gilt die Familienpflegezeit nur für nahe Verwandte?

Sie kann nur für nahe Angehörige in Anspruch genommen werden. Das sind Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner sowie Geschwister, Kinder und Enkelkinder. Bekannte und Nachbarn werden somit nicht von der Familienpflegezeit erfasst.

Muss man sich während dieser Pflegezeit versichern?

Ja. Es muss eine zertifizierte Familienpflegezeitversicherung abgeschlossen werden. Dies geschieht nach § 4 des Familienpflegezeitgesetzes entweder durch den Beschäftigten selbst oder durch den Arbeitgeber. Der Versicherungsschutz kann auch durch Aufnahme in eine vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) abgeschlossene Gruppenversicherung hergestellt werden. Ausdrücklich soll die Versicherungsprämie »unabhängig vom Geschlecht, Alter und Gesundheitsprüfung der versicherten Person« und ohne Risikoprüfung berechnet werden. Meist wird der Arbeitgeber die Prämie bezahlen. Einen Anspruch auf Abschluss einer solchen Versicherung hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber jedoch nicht, so dass er gegebenenfalls die Prämie für die nötige Versicherung selbst tragen muss. Die Höhe der Beiträge soll nach Auffassung der Bundesregierung im unteren zweistelligen Eurobereich liegen (10 bis 15 Euro).

Welche Alternativen gibt es, wenn der Arbeitgeber die Familienpflegezeit verweigert?

Zunächst sollten die Möglichkeiten ausgelotet werden, dass ein anderes Familienmitglied seinen Arbeitgeber befragt oder mit dem Arbeitgeber eine befristete Teilzeitbeschäftigung oder unbezahlte Freistellung vereinbart wird. Eine weitere Alternative bietet zudem das bereits seit dem 1. Juli 2008 geltende Pflegezeitgesetz. Es ermöglicht dem Arbeitnehmer ebenfalls, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen. Die Höchstdauer der Pflegezeit beträgt sechs Monate. Während der Pflegezeit ist der Arbeitnehmer vollständig oder teilweise von der Arbeit freizustellen. Im Gegensatz zur Familienpflegezeit bekommt der Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme dieser Pflegezeit kein Gehalt, genießt jedoch besonderen Kündigungsschutz. Dieser gesetzliche Anspruch auf Pflegezeit besteht jedoch nur gegenüber Arbeitgebern mit 15 oder mehr Mitarbeitern. In akuten Fällen kann außerdem ein kurzzeitiges Fernbleiben von der Arbeit über einen Zeitraum von zehn Tagen beantragt werden, um für einen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege organisieren zu können.

Können auch befristetet beschäftigte Arbeitnehmer Familienpflegezeit beanspruchen?

Ja, dabei ist zu beachten, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Familienpflegezeit höchstens für die Hälfte der Laufzeit des befristeten Beschäftigungsverhältnisses vereinbart werden kann, damit der Gehaltsvorschuss in der Nachpflegezeit wieder ausgeglichen werden kann.

Welche Rentenbeiträge sind bei Inanspruchnahme der Familienpflegezeit zu zahlen?

Während der Familienpflegezeit und der Nachpflegephase zahlt der Arbeitgeber die Beiträge zur Rentenversicherung auf Grundlage des reduzierten Gehalts weiter. Zusätzlich zahlt die Pflegekasse für die geleistete Pflege Beiträge, wenn der Pflegeaufwand mindestens 14 Stunden und die Erwerbstätigkeit höchstens 30 Stunden pro Woche beträgt. Die Ansprüche steigen mit der Höhe der Pflegestufe. So können pflegende Angehörige ihre Rentenansprüche etwa auf dem Niveau der Vollzeitbeschäftigung halten. Geringverdiener kommen gegebenenfalls auf höhere Einzahlungen, Besserverdiener müssen mit leichten Verlusten rechnen.

Besteht während dieser Pflegezeit Kündigungsschutz?

Während der Familienpflegezeit und der Nachpflegephase darf der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis nicht kündigen. In besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden. Die Zulässigkeitserklärung erteilt die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle.

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