Mafia diskreditierte Streik
Beim Ausstand im Transportwesen mischte die organisierte Kriminalität mit
Durchstochene Reifen, zerschmetterte Handys, einschüchternde Verfolgungsfahrten - Lastwagenfahrer hatten einiges auszustehen in den süditalienischen Provinzen Sizilien, Kalabrien und Kampanien. Wer sich nicht an dem mehrtägigen Streik beteiligen wollte, den die Gewerkschaft Trasporto Unito - eine von circa zwei Dutzend Gewerkschaften in Italiens Transportbranche - ausgerufen hatte, musste mit schweren Beeinträchtigungen rechnen. Trucker berichteten von Pkw, die sie kilometerlang auf der Autobahn verfolgten. Anderen wurden die Fahrzeuge beschädigt. Als »mafiose Methoden« charakterisierte der Präsident der Industrie- und Handelskammer Siziliens, Ivan Lo Bello, diese Übergriffe. Lo Bello, seit Jahren engagiert im Kampf gegen Schutzgelderpressung, vermutete Mafiosi hinter dem Streik.
Seine Vermutungen wurden durch eine groß angelegte Razzia der Polizei bestätigt. Zehn Transportfirmen, deren Besitzer und Mitarbeiter sich dem Streik angeschlossen und nach Berichten von Lokalzeitungen als besonders aggressiv hervorgetan hatten, wurden wegen des Verdachts auf mafiose Machenschaften beschlagnahmt. Insgesamt 30 Haftbefehle wurden ausgestellt. Die Männer sollen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Neapel ein Monopol auf den Transport von Agrarprodukten aus dem Süden Italiens zum Großmarkt Fondi, etwa zwei Stunden südlich von Rom, durchgesetzt haben.
Dass die regionalen Mafiaorganisationen Cosa Nostra (Sizilien), 'Ndrangheta (Kalabrien) und Camorra (Kampanien) in der Agrarwirtschaft und im Transportwesen tief verwurzelt sind, war seit langem bekannt. Der Großmarkt Fondi fiel vor drei Jahren durch Waffenschmuggel in Agrartransportern auf. Die jüngste Operation brachte ein regelrechtes Transport-Joint Venture von Cosa Nostra - vertreten durch einen Bruder des inhaftierten Bosses Toto Riina - und Camorra - ihrerseits repräsentiert durch den Sohn des einstigen Anführers der Gruppe der Casalesi, Francesco Schiavone, genannt Sandokan - ans Tageslicht.
Für Piero Grassi, oberster Antimafiastaatsanwalt Italiens, war das keine Überraschung. »Es ist doch merkwürdig, dass Tomaten, die in Ragusa geerntet werden, zum Verpacken nach Fondi gebracht werden und dann erst wieder auf dem Markt in Ragusa auftauchen«, sagte er am Rande einer Buchvorstellung in Neapel. Das sizilianische Ragusa liegt 800 Kilometer von Fondi entfernt. »Es sind die Kunden, die den Preis für diesen Umweg bezahlen. Die organisierte Kriminalität streicht den Gewinn ein«, ergänzte Grassi.
Italiens ranghöchster Antimafiajäger warnte gleichzeitig davor, die Streiks als komplett mafios gesteuert anzusehen. »Viele Menschen haben große ökonomische Probleme und beteiligen sich deshalb an den Protesten«, meinte er und warnte vor Vereinfachungen: »Die Not der Menschen ist real. Bei weitem nicht alle sind Mafiosi.«
Dem Fernfahrerstreik hatten sich nach Angaben von Trasporto Unito 20 Prozent aller Fahrer angeschlossen. Vor allem im Süden kam es zu tagelangen Blockaden von Mautstellen auf der Autobahn. Firmen wie Fiat, Coca Cola und Barilla stellten wegen der unsicheren Transportlage zwischenzeitlich die Produktion ein. In Supermärkten fehlten vor allem Waren, die von großen Logistikzentren verteilt wurden. Trotz teilweise dramatischer Berichterstattung über leere Regale war die Versorgungslage mit Lebensmitteln aber nur geringfügig eingeschränkt. Lediglich bei Benzin und Diesel kam es zu Engpässen - und damit zu Schlangen und Wartezeiten.
Anlass des Streiks waren von der Regierung Monti angekündigte Erhöhungen der Benzin- und Dieselpreise sowie der Mautgebühren.
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