Ein anderer Kapitalismus?

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Der Kapitalismus, den wir kennen, ist am Ende. «
»Der Kapitalismus, den wir kennen, ist am Ende. «

Wer hätte noch vor Kurzem für möglich gehalten, dass der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, äußern würde, dass das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus mit den derzeitigen Problemen überfordert sei? Es gibt keinen Zweifel mehr darüber, dass das nicht bloß eine Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern eine bisher nicht gekannte Systemkrise des Kapitalismus ist. Nur Pfarrer Gauck mag da noch glauben, »Kapitalismus« sei bloß »denunzierte Marktwirtschaft«. Der Kapitalismus, den wir kennen, ist am Ende.

Die neue Hoffnung der Herrschenden kann dann nur sein: Ein anderer Kapitalismus ist möglich! Auch manche Linke meinen das und berufen sich auf Marx, der gesagt haben soll, dass der Kapitalismus »kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begriffener Organismus ist«. Bei Marx aber heißt es , »dass die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall« sei. Die jetzigen Gesellschaften sind zwar kapitalistisch dominiert, aber keineswegs Kapitalismus pur. Werden sie mit Kapitalismus gleichgesetzt, erscheinen auch alle Errungenschaften, die im Kampf gegen das Kapital erreicht wurden - wie die Verkürzung der Arbeitszeit - als Wandlungen, als Errungenschaften des Kapitalismus. Der Kapitalismus erscheint dann in der Tat als grenzenlos zukunftsoffene Gesellschaft.

In seiner Wesenheit ist Kapitalismus keineswegs wandelbar. Er ist und bleibt Selbstverwertung des Werts, »Plusmacherei«. Ziel und Antrieb der Kapitalbewegung sind nicht menschliche Bedürfnisse, nicht die Konsumtion, auch nicht die der Kapitaleigner, sondern die Akkumulation. Kapitalismus bedeutet Akkumulation von Reichtum auf der einen und von Armut auf der anderen Seite.

Wahr ist aber auch: Keine andere Gesellschaftsform ist in ihrem politisch-ideologisch-kulturellen Gewand so wandelbar und vermag über ihr Wesen so zu täuschen. Die bürgerliche Mitte vermochte nach der Aufklärung offenbar mühelos mehrheitlich in die faschistische Barbarei zu marschieren und dann aus ihr wieder herauszukriechen. Kapitalismus und Demokratie sind Gegensätze, aber ersterer siegte über den europäischen Sozialismus unter dem Banner von Freiheit und Demokratie.

Der Kapitalismus vermochte nach dem Zweiten Weltkrieg über drei Jahrzehnte die Tendenz sozialer Polarisierung auszusetzen. Aber nur, weil die sozialen Herausforderungen des realen Sozialismus ihn hierzu zwangen. Als sich dann in den 1970ern dessen Niederlage abzeichnete, kehrte der Kapitalismus flugs zur sozialen Polarisierung zurück.

Offen bleibt, ob der Kapitalismus die Gefährdung seiner »Lebenswurzeln« aufzuhalten vermag. Wie er dies nach Marx mit dem Aufhalten der ihm immanenten Tendenz der Umwandlung der Lebenszeit in Arbeitszeit vermochte. Sein Ausweg war die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Werden Auswege aus der Kriegs- und der ökologischen Gefahr gelingen? Gerät der Kapitalismus in Gefahr, vermag er seine Systemeigenschaften zu verbergen, über seinen Schatten springen kann er nicht. Wird er abtreten können wie der reale Sozialismus? Was wird geschehen, wenn das Volk zu der Einsicht gelangt, dass es nicht nur um einen anderen Kapitalismus gehen kann, sondern um eine Welt jenseits des Kapitalismus?

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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