Insel der Hoffnung im besetzten Land
Eine palästinensische Kommune kämpft um ihr Überleben und für Verständigung
Bei der Fahrt auf der Autobahn zwischen Bethlehem und Hebron ziehen kahl gefressene Hügel, vereinzelte Siedlungen, Blechhütten und Hirten mit ihren mageren Ziegen vorüber. Europäern scheinen die Siedlungen und Dörfer mit ihren zahllosen, meist noch im Rohbau befindlichen weißen Häusern willkürlich aneinandergereiht. Dazwischen wieder endlose Hügelketten mit Müll, Gesteinsbrocken und abgenagten Olivenbäumchen. Die israelischen Siedlungen, die ab und zu am Horizont auftauchen, gleichen Star-Wars-Imitationen: Von hohen Mauern umgeben, ragen sie weiß glänzend in den blauen Himmel.
Das ist also das »heilige Land«? Nackte Hügelketten, einer Mondlandschaft gleich? Ja. Es ist nicht nur das heilige Land, sondern auch das Westjordanland, wo nichts so viel zählt wie die trockene Erde unter den Füßen.
Ein Weg, der Geschichte erzählt
Es gibt viele Orte, die den seit mehr als 60 Jahren anhaltenden Konflikt um diese »Mondlandschaft« gut dokumentieren. Doch kaum einer ist so exemplarisch wie die Farm der Familie Daoud Nassars, wenige Kilometer südlich von Bethlehem. Schon der Weg dorthin erzählt seine eigene Geschichte: Dem Straßenschild »Newe Daniel« folgend, das den Namen einer israelischen Siedlung angibt, biegt man von der Schnellstraße in einen holprigen Seitenweg ab. Doch nach rund 500 Metern ist Schluss. Wer weiter kommen will, muss über Beton- und Gesteinsbrocken kraxeln, mit denen israelische Siedler die Zufahrt blockiert haben. Weiter geht es schließlich auf einem Weg, der am Abhang eines Hügels entlang führt.
Am Eingang der Gemeinde »Tent of nations« angekommen, hat man einen fabelhaften Blick: Am linken Wegrand geht es tief hinunter in ein Tal, auf dem Hügel gegenüber erhebt sich eine israelische Siedlung mit einem großen Turm und einem Davidstern darauf - wie auch auf den Hügeln rechts und geradezu. Dazwischen Geröll, viel Müll und Strommasten, die zu den Siedlungen führen.
Das einzige palästinensische Dorf unten im Tal ist unschwer an den schwarzen Wasserspeichern auf den Dächern zu erkennen. Es gibt keine Mauer und die Häuser liegen etwas verstreut am Fuße des Abhangs unter einer jüdischen Siedlung. Die Farm »Tent of nations« und dieses kleine Dorf sind eingeschlossen von solchen Siedlungen. Doch das Dorf ist weit weg und Nassars palästinensische Farm liegt einsam auf der Spitze eines Hügels wie auf dem Präsentierteller.
»Welcome!« Der Lieblingshund Daoud Nassars begrüßt jeden Besucher überschwänglich. Die Farm besteht aus mehreren kleinen Gebäuden, Gärten, einem Olivenhain, sogar einer Pferdeweide und großen Terrassen, von denen man weit ins Land schauen kann - eine Idylle, möchte man meinen. Die jedoch ist bedroht, denn die Kommune kämpft seit 20 Jahren vor Gericht darum, nicht geräumt zu werden. Dabei leben die Nassars schon seit über hundert Jahren hier: Noch unter osmanischer Herrschaft, im Jahre 1916, kaufte der Großvater das Land und ließ sich alle nötigen Papiere ausstellen. »Das war außergewöhnlich klug von ihm, denn die Landvergabe erfolgte damals meist ohne Dokumente. Das ist eines der größten Probleme der heutigen Palästinenser, da sie ohne Beweise dastehen«, erklärt Enkel Daoud Nassar.
Dokumente sind keine Garantieurkunden
Doch auch die Papiere sind keine Garantie fürs Bleiben. Die Farm ist den Siedlern der Umgebung ein Dorn im Auge. Es sind die letzten 130 Hektar der Gegend, die noch palästinensisch sind, sagt Nassar. Über 150 000 Dollar und eine Menge Nerven hat die Familie seit der Besiedlung des Westjordanlandes durch die Israelis für juristische Auseinandersetzungen gelassen. »Doch wir werden nicht aufgeben«, versichert Nassar.
Der kräftige, braun gebrannte Mann erzählt seine Leidensgeschichte ruhig und ohne Wut - obwohl er allen Grund dazu hätte. »Die Israelis konnten uns nicht so enteignen wie die anderen Landbesitzer. So haben sie begonnen, unsere Dokumente juristisch anzuzweifeln - bis jetzt ohne Erfolg.« Allerdings beschränkten sich die Siedler nicht darauf, gerichtlich gegen die Farm vorzugehen. Seit Jahren bedrohen sie die Bewohner - Daoud Nassar, seine Familie und seine Freunde, mal mehr, mal weniger als 20 Leute - auch im Alltag: »Sie versuchen uns zu isolieren, kappen unseren Strom, unser Wasser und versperren die Zufahrtsstraße.« Neuerdings hätten sie gerichtlich erreicht, dass den Landeigentümern die Baugenehmigung entzogen wurde. »Jetzt fangen wir an, unterirdisch zu bauen und Höhlen auszuheben, dagegen können sie nichts machen«, sagt Nassar. Die Farm versuche deshalb auch seit einigen Jahren, autonom zu werden - das sei ihre Antwort auf die Isolation. Und so werde man ganz automatisch zu einer Ökokommune: Ein gesponsertes Solardach wurde auf dem Gemeinschaftsgebäude angebracht, man sammelt Regenwasser und hat sich Wassertanks angeschafft. Zudem suchen sich Nassar und seine Leute internationale Unterstützung.
Freiwillige aus aller Welt helfen
Viele Freiwillige aus Europa und den USA, von Dritte-Welt-Gruppen und Kirchen, kommen ins »Tent of nations« und packen mit an. Sie pflanzen Bäume, helfen bei der Ernte von Oliven, Mandeln und Zitrusfrüchten. Gerade sind zwei junge Freiwillige aus Potsdam da und helfen, Verschläge und Toiletten zu bauen und die Tiere zu versorgen. Etwa 5000 Gäste aus aller Welt kommen jährlich, um die Farm zu unterstützen und Workshops zu veranstalten, erklärt Nassar stolz. Nicht nur eine autarke Farm, sondern vor allem ein Begegnungszentrum für Palästinenser, Israelis und Solidaritätsgruppen aus aller Welt will Nassar unter seinem Motto »Frieden wächst von unten« aufbauen.
Auch mit den Nachbarn versucht der studierte Betriebswirtschaftler ins Gespräch zu kommen - allerdings vergeblich. Die meisten Siedler wüssten gar nicht, was keine 500 Meter entfernt von ihnen passiert. Einmal sei eine Siedlerin aus Neugier gekommen. Sie sei sehr interessiert gewesen und »aus allen Wolken gefallen« - immerhin habe sie schon neun Jahre auf dem Hügel gleich gegenüber gewohnt. Das sei kein außergewöhnlicher Fall, meint Nasser. Oftmals kämen die Siedler aus dem Ausland und hätten vom israelischen Staat ein Haus im Westjordanland angeboten bekommen. Da auch die Siedler völlig isoliert hinter ihren Mauern lebten und sogar ihre eigenen abgezäunten Autobahnen hätten, die ihre Orte miteinander verbinden, wüssten viele nichts über die politische Realität um sie herum.
Die Aggressivität gehe von einer Minderheit orthodoxer Juden aus, die oft vom israelischen Staat lebten. Sie seien es auch, die gewaltsam versuchten, Palästinenser einzuschüchtern, um sie von ihrem Land zu vertreiben. Das kann auch Nassar passieren, denn ein letztes Wort ist vor Gericht noch nicht gesprochen. Und jede Woche dächten sich die Siedler neue Diskriminierungen aus, klagt er. Nassars größte Angst ist, dass irgendwann die Zufahrtswege zu seinem Hof für längere Zeit gesperrt sind und er weder raus noch seine Gäste rein können. Das wäre das Aus für Begegnung und Verständigung.
»Ohne Land haben wir keine Zukunft«
Bleibt die »einfache« Frage: Warum machen Nassar und seine Freunde das alles mit? Warum geben sie nicht auf? Nassar schaut sehr ernst: »Ohne Land haben wir keine Zukunft. Das Land ist unsere Identität. Wir können nicht einfach alle aufgeben.« Außerdem sei er das seinem Großvater schuldig. Und seinem Vater versprach er auf dessen Sterbebett, das Land unter keinen Umständen aufzugeben. Daran hält sich Nassar. Mit seinen ganz eigenen Mitteln.
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