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Wird Konsum Lebenszweck?

Ulrich Dalibor ist gegen die »Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft« / Dalibor ist Leiter der Bundesfachgruppe Einzelhandel bei der Gewerkschaft Verdi. Er engagiert sich in der »Allianz für den freien Sonntag«

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig – Wird Konsum Lebenszweck?

nd: Es heißt, durch Nacht- und Sonntagsarbeit, die von Ihnen abgelehnt wird, würden Arbeitsplätze geschaffen werden. Was entgegnen Sie dem?
Dalibor: Ich bezweifle, dass es sich bei denen, die diese These aufstellen, um Ökonomen handelt. In den vergangenen Jahren blieb trotz verlängerter Öffnungszeiten, die immer weiter ausgedehnt werden, der Gesamtumsatz des Einzelhandels gleich, er nahm nicht zu. Es wurde auch kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen. Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse ist gestiegen, nicht aber die der durch Tarifverträge geschützten Normalarbeitsverhältnisse.

Sollte man nicht mehr Arbeitnehmerrechte und eine angemessene Bezahlung für Sonntags- und Nachtarbeit fordern, statt Sonntags- und Nachtarbeit insgesamt einzuschränken?
Dann würden wir mit Zuschlägen gesundheitsschädliche und familienfeindliche Arbeitszeiten abbezahlen. Das halten wir für falsch. Eine geschädigte Gesundheit kann man nicht mit Geld heilen, kaputtgehende Familien kann man nicht mit Zuschlägen heilen. Insofern wäre das der falsche Weg. Es wird immer schwieriger, Termine zu finden, um unsere Mitglieder zu gemeinsamen Veranstaltungen zusammenzuholen, um uns auszutauschen, Forderungen aufzustellen oder Aktivitäten zu entwickeln. Darum brauchen wir Zeitrhythmen in unserer Gesellschaft dringender als je zuvor.

Hat es nicht mit Lebensqualität und zivilisatorischem Fortschritt zu tun, wenn man nachts eine Tüte Chips kaufen kann?
Zivilisatorischer Fortschritt macht sich nicht daran fest, dass einzelne Wünsche Einzelner befriedigt werden. Natürlich muss gesellschaftspolitisch notwendige Arbeit auch an Sonn- und Feiertagen stattfinden. Aber die Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft führt nicht dazu, dass unsere Kultur gewinnt. Wir würden viel mehr verlieren.

Sie kritisieren, dass Kommerzialisierung und Konsum zum Lebensinhalt der Menschen werden. Aber Essen, Trinken, Vergnügen sind ja Lebensnotwendigkeiten.
Aber dafür stehen wir doch ausdrücklich! Wir wollen, dass Menschen Zeit füreinander haben. Wir wollen ja nicht, dass sie alleine essen gehen oder dass man alleine ins Kino geht.

Die Idee, dass alles immer rund um die Uhr zur Verfügung stehen muss, ist falsch. Unsere Gesellschaft war viel reicher, als wir andere Öffnungszeiten, bis 18.30 Uhr, hatten. Da ist in unserem Land niemand erfroren, weil er keine Kleidung hatte, und niemand verhungert, weil er kein Essen kaufen konnte. Wir haben heute mehr Freizeit durch kürzere Arbeitszeiten, durch längeren Urlaub als früher, haben längere Öffnungszeiten, aber trotzdem steigt der Umsatz nicht.

Ihre Kritik an der Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft klingt auch, als wollten Sie zurück zu stiller Einkehr, Askese und Verzicht.
Nein, gar nicht. Es ist notwendig, dass am Sonntag gearbeitet wird - etwa bei der Polizei, in der Gastronomie, in Schwimmbädern oder Kinos. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir uns wohl fühlen. Aber es muss Zeiten geben, in denen Familien und Freunde gemeinsame Freizeit haben. Deswegen stürzen wir uns so auf den Sonntag, der in unserer Verfassung geschützt ist und mehr und mehr ausgehöhlt wird.

Interview: Thomas Blum

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