Halbe Sache
Ermittler sehen die NSU-Terroristen als Einzeltäter ohne braunes Netzwerk
Die Bundesanwaltschaft wird voraussichtlich im Herbst Anklage wegen der Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle erheben. »Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen«, sagte Generalbundesanwalt Harald Range in einem Interview der »Süddeutschen Zeitung«.
Sicher, gut Ding will Weile haben, sagt der Volksmund. Und immer wieder wird versichert: Die Ermittlungen der 350 Experten unter Leitung des Bundeskriminalamtes (BKA) machen gute Fortschritte. Doch der Fokus verengt sich offenbar immer mehr auf die »Zellen-Theorie«. Es gebe nur einige wenige Unterstützer.
Man rechnet derzeit - so nd-Informationen - mit elf Neonazis. Die wichtigsten hat man bereits »einkassiert«. Mit viel polizeilichem Zugriffsgetöse. Doch nun herrscht weitgehend Schweigen. So kann man Verfassungsschutz, BKA und Generalbundesanwalt zwar glauben, dass die zehnfachen Mörder ohne Kontakte waren, man muss es jedoch nicht. Denn die Fakten lassen auch andere Deutungen zu.
Natürlich stimmt es, dass abgetauchte Terroristen ihre Absichten nicht auf Marktplätzen diskutieren. Zumal dann nicht, wenn es sich um vorsätzlichen Mord und um Banküberfälle handelt. Doch die drei, die vom sächsischen Zwickau aus operierten, hatten ein weites Hinterland, das Waffen, Pässe, Geld, Wohnungen, Autos ... beschaffen half.
Es gibt Hinweise, dass bei Skinhead-Konzerten Spendenkästen aufgestellt wurden und auch aus Aussteigerberichten geht hervor, dass der NPD-Kreisverband Jena für »Kameraden im Untergrund« gesammelt hat. Ungeklärt ist freilich, in welcher Weise Verfassungsschützer zu den Gönnern der Mörder gehörten.
Zum Hinterland des Mördertrios gerechnet werden muss die internationale Blood&Honour-Bewegung. Die Division in Sachsen hatte ihre Strukturen gut gesichert, denn bereits vor dem Verbot löste sich der rassistische Verein auf. Scheinbar.
Auch der Verfassungsschutz wusste von den Verbindungen zu Blood&Honour. Und damit auch von den international weitreichenden Beziehungen zur Organisierten Kriminalität - zu Menschen-, Waffen-, Drogenhandel, zu Schutzgelderpressungen und Mordaufträgen. Mehrmals hätten sich Möglichkeiten zum Zugriff ergeben, doch immer kam etwas dazwischen.
Es lagen Informationen vor, dass die Gesuchten sich Ende der 90er Jahre im Raum Chemnitz aufhielten. Auch soll mindestens einer der drei polizeilich Gesuchten an Neonazi-Partys nahe Saalfeld teilgenommen haben. Bei einer Schulungsveranstaltung von sächsischen und thüringischen Neonazis, die Anfang 2000 in Eisenberg stattgefunden hat, erfuhren die besorgten Jenaer Kameraden, dass es dem Trio gut gehe. Und damit erfuhr es auch der Verfassungsschutz. Aus dieser Zeit datieren Berichte, dass die untergetauchten Terroristen gute Beziehungen sowohl zur militanten Kameradschaft »Weiße Bruderschaft Erzgebirge« als auch zur »Kameradschaft CC 88« in Chemnitz aufgebaut hatten.
Es lassen sich personell definierte Kontakte nach Franken so wie nach Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nachweisen. Insbesondere Beate Zschäpe pflegte Freundschaften zu gleichfalls »national gesinnten« Frauen. Die Ermittler kennen Namen und Adressen von Freunden wie Unterstützern, wissen um Treffpunkte und Treffzeiten. Auch die Quer-Land-ein-Reisen von Beate Zschäpe nach dem Tod ihrer Kumpane Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach vermitteln das Bild zahlreicher enger Kontakte.
Das alles spricht nicht für die These der isolierten Zelle. Und so wird es beispielsweise im Thüringer Untersuchungsausschuss gerade auch um diese vielfältigen Kontakte der Neonazi-Terroristen gehen. Schon, damit die Behörden davor gewarnt sind, wieder nur halbe Sachen zu machen.
»Es geht letztlich auch darum, ob die Gefahr der Herausbildung militanter rechtsextremer Strukturen durch die politisch und behördlich Verantwortlichen falsch eingeschätzt wurde und somit ihre Entstehung und Verfestigung begünstigt wurden«, sagt Martina Renner, die für die Linksfraktion im Ausschuss arbeitet.
»Die Rechtsextremisten treten dreister und aggressiver auf. Wir müssen die mörderischen Gefahren des Rechtsextremismus noch ernster nehmen - dafür ist die Mordserie ein tragisches Lehrstück.«
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
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