Jemen wählt ohne Auswahl
Laut »Demokratie-Fahrplan« soll Langzeitherrscher Saleh durch seinen bisherigen Vize ersetzt werden
Der 67-jährige Generalmajor Abed Rabbo Mansur al-Hadi stammt aus der südjemenitischen Stadt Abiyan, in der »Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel« im März 2011 ein islamisches Emirat ausgerufen hat. Der von den USA unterstützte und finanzierte »Krieg gegen den Terrorismus« in Jemen diente Hadi als Rechtfertigung, Abiyan und andere Städte in den vergangenen Monaten wiederholt bombardieren zu lassen. Denn bereits im Juni 2011, nachdem Präsident Saleh bei einem Raketenangriff auf seinen Palast verletzt worden war, hatte Hadi geschäftsführend dessen Amt übernommen. So wurde er auch Oberbefehlshaber der Armee.
Bei den Luftangriffen auf südjemenitische Städte kamen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Hunderte Menschen ums Leben. Hadi, der während des jemenitischen Bürgerkriegs im Jahr 1994 Verteidigungsminister war und mit blutigen Angriffen auf Rebellentruppen die Macht des seinerzeit noch vorbehaltlos von den USA unterstützten Präsidenten Saleh sicherte, ist wegen seines rigorosen Vorgehens auf dem Schlachtfeld in Jemen hoch umstritten.
»Er ist als Kandidat inakzeptabel«, macht Osama Shamsan seinem Ärger Luft. Der 21-jährige Student ist einer der Organisatoren des Protestcamps vor den Toren der Universität in Sanaa. »Hadi ist für viele Kriegsverbrechen im Jahre 1994 verantwortlich und für viele Gräueltaten an der Opposition während seiner Amtszeit als Vizepräsident. Wir, die Jugend des Wandels, lehnen ihn ab und werden so lange demonstrieren, bis auch Hadi aus dem Amt gejagt ist.«
Fast alle Demonstranten auf dem Platz des Wandels, so heißt das Protestcamp in Sanaa, denken wie Student Shamsan. Sie verstehen nicht, weshalb ein Militär, der jahrelang treu im Dienste des Diktators Saleh agierte, vom Ausland als einziger Präsidentschaftskandidat akzeptiert wurde, statt für seine mutmaßlichen Vergehen strafrechtlich verfolgt zu werden. »Es ist eine Schweinerei, dass sich die Initiative des Golfkooperationsrats (GCC) auf Hadi als einzigen Kandidaten geeinigt hat«, schimpft Shamsan. »Das zeigt, dass die Initiative nur den Interessen anderer Staaten dient und nicht dem Interesse des jemenitischen Volkes, das Gerechtigkeit fordert.« Er werde daher nicht wählen gehen, beteuert der Student.
Auch der pensionierte Politologe Hamid al-Iriani, der in der Vergangenheit die jemenitische Regierung in außenpolitischen Fragen beriet, will nicht zur Wahl gehen, wie er im Gespräch verriet. Das sei auch gar nicht nötig, denn das Ergebnis stehe ohnehin fest. Doch lieber als gar keine Lösung und das absolute Chaos im Land sei ihm Hadi durchaus. Anderseits gab al-Iriani zu bedenken, dass Hadi eine schwache Persönlichkeit sei. Er sei immer nur Diener Salehs gewesen und habe nie eigene politische Schwerpunkte setzen können.
Kritisch sieht der Politologe auch die Einmischung durch die Golfstaaten: »Ich sehe auch am Tag vor den Wahlen keinen einzigen eindeutigen Beweis dafür, dass die GCC-Initiative uns in eine bessere Zukunft führt. Dieselben Leute halten ihre Waffen bereit, die Kontrollen auf den Straßen sind noch immer da. Dabei sorgen die bewaffneten Gruppen nicht für Sicherheit, sondern wollen nur die Bevölkerung einschüchtern. Ich bezweifle, dass Hadi dieser Gruppen Herr werden kann.«
Ali Aljamrah, der in Sanaa ein Krankenhaus leitet, will jedoch zur Wahl gehen: »Ich werde für den Vizepräsidenten stimmen. Er ist viel besser als Präsident Saleh. Er ist ein gut ausgebildeter Offizier, der perfekt Englisch spricht und unser Land in eine moderne Zukunft führen kann.« So wie er denken alle in seiner Familie, versichert der Arzt. Er hofft, dass sich durch die Wahl etwas zum Guten ändert. »Es hat schon viele Überraschungen in Jemen gegeben. Vielleicht ist dies die Überraschung, die zum Guten führt.«
Fest steht, dass sich alle politischen Kräfte - Stammesführer und Politiker - nach der Wahl zu einer großen Versammlung in Sanaa treffen wollen, um gemeinsam die Zukunft des Landes zu bestimmen. Geplant ist, dass Hadi nur für eine Übergangszeit von zwei Jahren als Präsident wirkt. Die Versammlung soll sich auf einen Termin für eine »richtige« Wahl einigen.
Derweil haben sich die Spannungen im Süden Jemens erhöht. Die Rufe nach Abspaltung des Landesteils, der bis 1990 unabhängig war, sind lauter geworden. Die Bewegung des Südens hat denn auch zum Boykott der Präsidentschaftswahl aufgerufen. In Aden, der wichtigsten Stadt des Südens, stehen Panzer bereit, in mindestens einem Stadtviertel soll es bereits zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Wahlgegnern gekommen sein.
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