Eine Frage der Haltung
Helmut Recknagel bei »nd im Club«
»Man muss auch richtig stürzen können«, meinte Helmut Recknagel, als er sich vom Boden erhob, und hatte die Lacher auf seiner Seite. Die deutsche Skisprunglegende - von über 80 Zuhörern herzlich begrüßter Gast am Mittwochabend bei »nd im Club« in Berlin - hatte beim Sprung aufs Podium zu viel Schwung genommen, verhakelte sich und landete kopfüber auf dem Boden. »Alles eine Frage der Haltung«, sagte er schließlich und war schon mitten im Thema des Abends: Kurz vor seinem 75. Geburtstag, den das Idol des DDR-Sports der 60er Jahre in drei Wochen begeht, war eine Neuauflage seiner Erinnerungen unter dem Titel »Eine Frage der Haltung« im Verlag »Das Neue Berlin« erschienen. Doch Recknagel hatte an diesem Abend noch viel mehr zu erzählen.
Just an diesem Tag vor genau 50 Jahren gewann Recknagel bei den Weltmeisterschaften in Zakopane auf der Normalschanze die Bronzemedaille. Drei Tage später triumphierte der erste nicht-skandinavische Skisprungolympiasieger auf der großen Krokiewschanze vor 100 000 Zuschauern. Die hiesigen Medien bejubelten seinen 103-m-Flug als »einen der vollendetsten Sprünge der letzte Jahre«. »Ja«, erinnert sich Recknagel, »dieser Schanzenrekord und der Weltmeistertitel waren schon was Besonderes.«
Zwei Stunden lang unterhielt der Berliner, nach seiner Karriere promovierter Veterinärmediziner, seine meist etwa gleichaltrigen Zuhörer humorvoll, aber auch nachdenklich. Er schilderte seinen Stolz, wenn »ich sportlich Großes für meinen Staat« geleistet hatte, aber er mahnte auch: »Der deutsche Sport strebt damals wie heute danach, Spitze zu sein. Aber deshalb muss man nicht immer Sieger sein. Wer mit Leidenschaft kämpft, braucht nicht neidisch zu sein, wenn ein anderer gewinnt.«
Der gebürtige Thüringer schilderte auch, wie in den 50er Jahren versucht wurde, ihn zur »Republikflucht« zu bewegen. »Solche Angebote haben mich nie interessiert. Ich bin ein bodenständiger Mensch und mir selbst treu geblieben - auch eine Frage der Haltung.«
Recknagel kann immer noch nicht vom Sport lassen: »Ich halte mich mit Gymnastik und Radfahren fit. Mindestens einmal am Tag verzichte ich auf den Fahrstuhl und steige die Treppen hoch zu meiner Wohnung in der achten Etage. Das tut mir gut«, schilderte er und riet: »Gesundheit - dieses Glück bringt ihnen keiner ins Haus, dafür muss man selbst etwas tun.«
Zum Schluss noch ein paar Worte über die »Hall of Fame« des deutschen Sports, in die Recknagel 2011 selbst aufgenommen wurde. »Es ist ein Unding, dass Täve Schur von der Jury abgelehnt wurde. Täve war unbestritten der populärste DDR-Sportler. Mit seiner Aufnahme hätte man ein Signal in den Osten setzen können. Ich hatte Größe und Toleranz erwartet. Eine Illusion angesichts der Zusammensetzung der Jury mit Wirtschafts- und Bankbossen.« Eine klare Haltung!
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