Alles von allen gut geplant
Geständnis im Prozess gegen zehn Somalier wegen Piraterie in Hamburg
Eine neue Entwicklung im Hamburger Piratenprozess: Einer der Angeklagten hat kurz vor dem im Laufe dieses Monats erwarteten Urteilsspruch ein umfangreiches Geständnis abgelegt, das seine mutmaßlichen Mittäter schwer belastet.
Der junge Mann und neun weitere Somalier werden beschuldigt, im April 2010 das unter deutscher Flagge fahrende Containerschiff Taipan gekapert zu haben, um für die 15-köpfige Schiffsbesatzung Lösegeld zu erpressen. Die Mannschaft konnte aber einen Notruf absetzen und wurde von einem niederländischen Marinekommando befreit. Einige der mutmaßlichen Seeräuber - darunter auch Jugendliche - hatten während des mittlerweile 15 Monate andauernden Verfahrens immer wieder betont, sie seien zu dem Angriff gezwungen worden.
Diese Behauptungen bezeichnete der Angeklagte, der gestern am 78. Verhandlungstag vor dem Hamburger Landgericht eine umfangreiche Aussage zu Planung und Hergang der Tat machte, als »Lüge«. In Wahrheit hätten alle freiwillig mitgemacht. Vor dem Überfall seien die Aufgaben klar verteilt und die Aufteilung des Lösegeldes, das erbeutet werden sollte, festgelegt worden. Die Vereinbarungen seien in einem Vertrag festgehalten worden. »Jeder hat unterschrieben.« Der Angeklagte nannte auch den Namen des Auftraggebers und der Hintermänner der Kaperfahrt und versuchte sich zu entlasten. Er sei lediglich als Dolmetscher für die Kommunikation zwischen den Piraten und den Geiseln mitgefahren, während die Mittäter das Schiff gelenkt und den bewaffneten Überfall durchgeführt hätten.
Der geständige Angeklagte hat sich offenbar schon im Voraus des Prozesses kooperativ gezeigt. Bereits vor Monaten ergaben die gerichtlichen Vernehmungen, dass er nach seiner Gefangennahme eine Aussage gegenüber dem niederländischen Geheimdienst gemacht hatte - mit Aussicht auf eine Gegenleistung für seine Auskunftsbereitschaft. Sollte der Somalier derartige Hoffnungen hegen, wird sie das Plädoyer der Staatsanwaltschaft vor einem Monat zumindest bis heute gedämpft haben. Für den Angeklagten wurden acht Jahre, für die anderen Erwachsenen zwischen sieben und elf Jahren plus sechs Monate und für die Jugendlichen zwischen vier und fünf Jahren plus sechs Monate Haft gefordert.
Oberstaatsanwältin Friederike Dopke führte die Gefahrensituation für die Besatzung der Taipan sowie den entstandenen Sachschaden von 1,06 Millionen Euro als »strafverschärfend« an. Zudem seien die Piraten »hochprofessionell« vorgegangen.
Das Geständnis ist nicht nur Wasser auf die Mühlen der Staatsanwaltschaft - es ändert auch den formalen Verfahrensverlauf: Erst am 22. Februar hatte das Gericht für fünf Angeklagte eine Abtrennung ihres Verfahrens vorgenommen - mit der Begründung, der langwierige Prozess sei für diese Gruppe »entscheidungsreif«, während die Beweisermittlung für die übrigen Angeklagten noch nicht abgeschlossen sei.
Am Dienstag wurde dieser Schritt nun wieder revidiert: Wären beide Verfahren nicht wieder zusammengeführt worden, hätte der Angeklagte doppelt angehört werden müssen: als Angeklagter im Ursprungsverfahren und als Zeuge im abgetrennten Verfahren, erläuterte Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn das Vorgehen.
Die Sichtweise der Gegner des Piratenprozesses dürfte diese Entwicklung allerdings kaum ändern. Sie kritisieren vor allem, dass das Gericht die verheerende soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung am Horn von Afrika außer Acht lasse. »Die Piraterie ist die New Economy Somalias«, erklärte ein Referent vom Eine Welt Netzwerk zur Piraterie als Ausweich- und Selbstverteidigungsstrategie gegen illegale Giftmüllverklappung und Fischraub.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.