Zweite Karriere als Werbefigur
So viel Hitler war selten - meint der »taz«-Blogger Daniel Erk
Der Autor weiß, wovon er berichtet: Seit 2006 betreibt der Politik- und Kommunikationswissenschaftler für die »taz« den sogenannten Hitler-Blog. In diesem wird gesammelt, wo und wie Hitler, der »GröPaZ« (größter Popstar aller Zeiten) in Film und Fernsehen, in Literatur oder Popkultur und Politik für Werbezwecke und Massenunterhaltung benutzt wird. Es sei seine Aufgabe, so Daniel Erk, den in Deutschland und vielen anderen Ländern vorhandenen »Mythos Hitler« endgültig zu zerstören. Begründung: Es gibt Tabus, die zerstört werden müssen, »wenn wir nicht ewig daran würgen sollen.« (George Tabori)
Die Fülle der Beispiele, die endlos langen Listen skandalträchtiger Äußerungen und demagogischer Entgleisungen, eine Übersicht zu Liedern, in denen der Name des Naziführers auftaucht, die vorgestellten Reklame-Spots und Spielfilme sowie die eingefügten Abbildungen - alles das bietet einen bedrückenden, eher noch einen beängstigenden Einblick in die Welt des medialen Wiedergängers Hitler. Umfangreiches Material konnte US-amerikanischen Quellen entnommen werden, wobei Erk meint, mit dem Thema werde umso unbefangener umgegangen, je weiter man sich von Deutschland entferne.
Der Autor stellt lakonisch fest, Hitler lebe - in welcher Inkarnation auch immer. Heute müsse sogar gesagt werden: »So viel Hitler war selten.« Dabei interessiert ihn weniger, wie der Mann in der Geschichtswissenschaft dargestellt worden ist und wie wenig davon Eingang in die Medien findet, er sucht nach Beweisen und Erklärungen für die Tatsache, dass die Hitlerfigur aus dem politischen Bereich herausgetreten ist und nunmehr eine »zweite Karriere als Werbefigur« durchlebt. Verursacht durch sorgloses, dreistes Gewinnstreben: Nicht nur Sex, auch Hitler verkauft sich bestens! Am Rande erwähnt Erk zwar die Gefahr, dass »der geschichtliche Kern zunehmend ins Hintertreffen gerät«. Solcher Bedrängnis sieht sich aber auch sein Buch ausgesetzt. Es bleibt bloße Beschreibung, das Dargelegte wird nicht kausal analysiert und funktional in Beziehung zu herrschender Politik und kapitalistischer Geschäftstüchtigkeit gesetzt.
Einen großen Teil des Bandes widmet Erk den zahllosen Hitler- und Nazivergleichen: Während des Kalten Krieges hätten sie zunächst der antikommunistischen Propaganda gedient, dann seien sie in Westdeutschland während der 60er Jahre polemisch gegen die Erscheinungen der »Restauration« genutzt worden. Letzteres sei allerdings so radikal erfolgt, dass darin bereits der Schlüssel zu den heutigen »oft überschnappenden« Vergleichen gelegen habe. Diese Radikalität soll einerseits zu den Thesen Ernst Noltes vom »bolschewistischen Klassenmord« als einer Ursache des faschistischen Rassenmordes geführt haben, andererseits auch - dies nun fern jeglicher Kenntnis - der marxistischen Faschismustheorie geschuldet sein, »der zufolge die Nazis bloß Agenten des Großkapitals gewesen« wären.
Erk befasst sich ferner mit der Frage, ob man über Hitler lachen dürfe. Seine etwas verwaschene Antwort lautet: »Ja, ja, Nein, bedingt.« Im Rückblick auf die Zeit nach 1945 spricht Erk von einer mehrmaligen Verschiebung der Koordinaten des Hitler-Humors. Dieser sei in den späten 40er Jahren ein antifaschistisches Bekenntnis gewesen, habe dann ab Ende der 60er »als Reinigungsprozess gegen die damals noch quicklebendigen Mythen der Nazizeit« gewirkt, sich allerdings in den 80ern »eine verbiestert aufklärerische Intention« gegeben. In den 90ern sei er »mehr und mehr zu einer Art Abwehrschlacht gegen die zunehmend banale mediale Vermarktung des Dritten Reiches« geworden.
Die naheliegende Frage, ob der laxe Umgang mit der Hitler-Figur zur sich drastisch verstärkenden Entfaltung des Rechtsextremismus beiträgt, wird nicht gestellt. Indiskutabel bleibt, was in diesem lesenswerten Buch recht plakativ zu angeblichen oder auch realen Schwächen des Antifaschismus aufscheint.
Daniel Erk: So viel Hitler war selten. Die Banalisierung des Bösen oder Warum der Mann mit dem kleinen Bart nicht totzukriegen ist. Heyne Verlag. 238 S., br., 9,99 €.
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